Und was (momentan) Religiöse Gefühle angeht: können unsere Brüder & Schwestern im näheren & ferneren Osten sich eigentlich vorstellen, daß Steinigungen, Händeabhacken, öffentliches Auspeitschen sowie Hängen & ähnliche Scherze (oder auch sowas wie der völlig idiotische Mord an Hatun Sürücü, von dem mir keiner erzählen kann, daß der nur auf Rechnung von archaischem Stammesdenken geht: die haben jedenfalls ihren Kaplan sehr genau gelesen) eventuell auch die Gefühle von halbwegs aufgeklärten Mitteleuropäern verletzen könnten?
Oder ein bißchen variiert: haben nur superreligiöse Menschen Gefühle? Und das fragt hier bitteschön jemand, dem religiöse Dinge durchaus überhaupt nicht scheissegal sind (denn da hat er z.B. einige seiner interessantesten Inspirationen her). Na schön, nur so ein Gedanke.
Allerdings einer, den ich verdammt selten lese in all den Kommentaren: denn entweder liegt der Akzent auf deren Verletzheit oder aber unserer Pressefreiheit. Liegt da nicht so ziemlich als erstes auf der Hand, wie’s denn dann um deren Pressefreiheit bestellt ist (bzw. um die Verletztheiten von Leuten, deren hauptsächliches Verbrechen darin besteht, eins und eins halbwegs zusammenzählen zu können)?
Oder noch anders gefragt: ist sowas wie Religion nur um den Preis von beschissenem Mittelalter zu haben? Und ist der Rest Marxismus (scheint erstmal wegzufallen, könnte aber wiederkommen) oder Raubtierkapitalismus (der gar nicht anders kann als den Ast abzusägen, auf dem er sitzt)? Nee, kann ich alles nicht glauben.
Und hier kommen die, die sagen, daß es ja immerhin auch den weltoffenen Islam gibt (vor allem den von Ibn Ruschd im 12. Jahrhundert in Portugal, jawohl ). Und ja, man sollte differenzieren & kein Öl ins Feuer gießen. Auch das weiß ich. Soweit unsere schönen Pfadfindertugenden. Aber diese merkwürdige Zurückhaltung selbst unserer großmäuligsten Pressefreiheitsverfechter riecht für meine Begriffe weniger nach Besonnenheit als nach ziemlich nackter Angst. Na schön, können wir das aber dann bitte auch so benennen? Wir sind also nicht moderat oder tolerant, sondern schlicht eingeschüchtert. Und wir wollen keine Morddrohungen rislkieren von Leuten, denen ihr eigenes Leben erklärtermassen einfach völlig egal ist (und seid verdammt noch mal vorsichtig mit Erklärungen, warum das so ist: Begriffe wie Verelendung reichen jedenfalls nicht aus, soviel sollte mittlerweile mal klar sein).
Und die Verhältnismäßigkeit läuft aus dem Ruder: das “Leben des Brian” von Monthy Python oder auch der ein oder andere Titanic-Titel waren jedenfalls ungefähr 37 Mal beleidigender für religiöse Gefühle als diese harmlosen dänischen Karikaturen. Und warum können unsere Kirchenvertreter die aggressiven Gereiztheiten ihrer eigentlichen Glaubenswidersacher plötzlich so rührend verstehen? Vielleicht weil sie insgeheim Verhältnissen wie denen im Iran für ihre eigenen Anliegen eigentlich doch gar nicht so abgeneigt wären? Oder sagen wir: zumindest ein bißchen was in diese Richtung könnte nicht schaden. Und unsere liebe libertäre Presse (oder was davon nach dem “Ruck zur Mitte” – nennen wir das mal so – übrig ist) stimmt in diesen Chor mit ein, während die superfrechen Witzbolde sich zur Abwechslung einfach mal ganz elegant aus der Sache raushalten.
Und zeigt das nicht eigentlich, was für eine harmlose kleine Sandkastentruppe letztere in Wirklichleit sind? Wie Heiko Werning neulich schon sagte: ab jetzt stürzen wir uns dann halt auf Religionen, von denen wir nichts zu befürchten haben. Buddhisten, wo seid ihr !? Arrrghhh… folgenlose Frechheit, Frechheit als Pose, als Attitüde, fast eine Art neuer Menschentyp: die Potenz davon heisst Oliver Pocher. Bei dieser Spezies substrahiert sich maximale Nassforschheit von maximaler Anpassung zum ersten Mal nahezu vollständig: Bin-total-frech minus mache-alles-mit. Gleich approximativ (das letzte Wort Gerhard Polt-mäßig bayrisch ausgesprochen) Null.
Urenkel von Standup-Comedy? Die amerikanischen Blaupausen wie Lenny Bruce oder Bill Hicks hatten jedenfalls einiges riskiert für ihre Tabuverletztungen. Das hatte eine Richtung, einen Geist & ein Ziel (womit hier nicht der Mediamarkt gemeint ist, nur um ganz sicherzugehen). Unsere neuen Witzbolde dagegen kriegten die Frechheit mit 14 von Pappi zur Konfirmation gleich mitgeliefert wie später zum Abi den Golf: mach mal, Junge, denn mein eigenes Leben war bis vor kurzem eine einzige Jugendsünde. Ich bin ok, Du bist ok, alles ist ok. Jeder ist frech & jeder Bankangestellte hat 17 Tatoos. Cool. Eingedroschen wird auf die Wehrlosen, von denen man nichts zu befürchten hat. Das ist der Ton. Die Leute sind ein bißchen plemplem geworden, glaub ich.
Jetzt bin ich plötzlich bei den Scherzkeksen hängengeblieben. Warum? Weil ich denke, daß die vielleicht am richtungsweisendsten sind für die sogenannte Kultur, die hier “auf dem Spiel steht”. Und durchgeknallten Dschihadisten hat diese Spezies jedenfalls nichts entgegenzusetzen (ausser man steht auf dem Standpunkt, daß grösstmögliche Rentabilität sich als das entscheidende Kriterium für alles erweisen wird). Falls es denn diese beiden Extreme sein sollten, die hier im Clinch miteinander liegen.
Also arbeiten wir doch in der Zwischenzeit daran, daß solches – und zwar von dieser Seite aus (die andere, fürchte ich, ist noch schwerer zu erreichen) – zumindest ein bißchen weniger der Fall ist. Andererseits eh selbstverständlich, oder?
So, Ende des kleinen Abstechers. Und eigentlich bin ich ja sowieso Musiker.