Unterm Radar, die zweite

Zur Einstimmung für die kommenden Nachholkonzerte zum letzten Album vielleicht hier vielleicht nochmal ein Beitrag von Krazy, den sie vor etwa einem Jahr auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichte. Hab’s bisher nirgendwo zitiert oder verlinkt – und bin ganz schön froh, so jemanden mit dabei zu haben:

“Das neue Album von Danny Dziuk / Dziuks Küche trägt den exzellenten Titel UNTERM RADAR und klingt wie alle seine Produktionen: Integer. Glänzend in jeder handwerklichen Hinsicht, geliefert von einem, der jeden Weg mehrmals abläuft, um zur genau richtigen Form zu finden – sophisticated, aber mit Dreck an den Stiefeln. Jedes Register ist sorgfältig gewählt, gekonnt bedient und genau dosiert – von hypnotisch- schlicht bis durchkomponiert in mehreren Akten – stabile Harmonien, zwielichtige Atmosphären, elegische Bittersüße und unbeirrbare Coolness auf 3 Akkorden erzählen begeistert mit, was der Sänger zu sagen hat.
Durch den spricht eingangs erst mal Rio Reiser, der drüben auf dem Olymp diese Version seines Titels “Menschenfresser” feiern dürfte. Dann übernimmt Songschreiber Dziuk, als Texter herausragend vor allem darin, gesellschaftliche Fragen singbar zu verdichten: scharfsichtige Analyse unserer verwahrlosten Debattenkultur (“Alle reden durcheinander”), klare Ansagen gegen Politisierung auf Gefühlsbasis (“falscher Feind #3″), kritische Hinterfragung reflexhafter “Israel-Kritik” (“Israel”) – das alles, beweist unser Mann, ist in Songform möglich, ohne dabei an stilistischer Würde oder inhaltlicher Differenziertheit einzubüßen. Dabei steckt noch in jedem dieser Texte mehr Erkenntnisgewinn als in öffentlichen Debatten, die solche Gedankentiefe nie erreichen.
Unterm Radar des Messbaren und öffentlich Zelebrierten verortet sind auch weitere Themen des Albums: Freunde, Befremden, Szenen eines unverhofft geglückten Weiterlebens in Anwesenheit des Todes – letzte Grüße an und von Wiglaf Droste: Eine Erinnerung an gemeinsame Stunden und die Vertonung eines späten Droste-Gedichtes. Der Titelsong schließlich benennt entwaffnend klar den Elefanten, der sich immer in den Raum schleicht, wenn es um Danny Dziuk geht: “ja, ich weiß, ich sollt/ viel bekannter sein/ als ich nun mal bin/ seh ich ja auch ein” – und gern die Frage aufwirft, ob eine gewisse Erfolgshöhe und eine spezifische Qualität der Substanz sich bedingen bzw. ausschließen, und ob das dann nicht eher ein Problem der großen Öffentlichkeit ist, die eben nicht hinschaut und zuhört, wo es interessant wird… Dass dieser Songster und seine pointierte Nachdenklichkeit dort stattfinden, spricht jedenfalls unbedingt dafür, sich in diesen Gefilden unterm Radar mal genauer umzusehen.”

Betr. Solidarität mit Israel

Was Israel von jedem anderen Staat der Welt unterscheidet, ist sein Umgebensein von Feinden, die in der Regel nicht weniger wollen als dessen Auslöschung. Darunter tut’s auch die Hamas nicht, die am 7. Oktober vorgeführt hat, wie das aussehen würde, wenn man sie ließe.

Und mit diesem Horror im Nacken tun die Israelis jetzt eben alles, um genau das – und zwar für möglichst lange Zeit – zu verhindern. Und da spielt dann Netanjahus verfehlte Politik der letzten Jahre völlig zu Recht auch erstmal keine Rolle mehr.

Jedenfalls ist die Frage jetzt, ob die jeder Beschreibung spottenden Bilder, die die Hamas der Welt dabei vor zehn Tagen vor die Füße schmiss, der Welt auch gut genug im Gedächtnis bleibt, wenn allmählich andere Bilder in den Vordergrund rücken werden: nämlich die von palästinensischen Opfern. Babies, Kinder, Mütter, Alte, Wehrlose. Die Hamas tut jedenfalls alles dafür. Sie benutzt dabei die eigene Bevölkerung nicht nur als Schutzschild, sondern opfert sie auch für ihren eiskalt kalkulierten Krieg der Bilder. Und behindert sie sogar bei ihrer Flucht vor der angekündigten israelischen Bodenoffensive, nur um die Opfer dann filmen und der Welt unter die Nase reiben zu können, – als Beweis für die angebliche Rücksichtslosigkeit Israels. Und das alles gerechtfertigt und abgesegnet durch das höllische Ideal ihrer islamistischen Ideologie (und mutigerweise von Katar aus, wo ihre Anführer zu residieren geruhen).

Gewählt wurde im Gazastreifen jedenfalls schon seit 2006 nicht mehr, und abweichende Meinungen enden sehr schnell in Folterkellern oder mit Hinrichtungen. Und mir ist vollkommen schleierhaft, was z.B. einige unserer postkolonialen (und über BDS bis hin zu extinction rebellion) Linken daran sympathisch finden können. Die Hamas hat nichts, aber auch gar nichts mit irgendeiner Art von Freiheitskampf zu tun, und ihre eigene Bevölkerung ist ihr offensichtlich bei weitem egaler als den Israelis, die sie zumindest mit allen Mitteln zu warnen versuchen – während die Hamas nicht nur ohne jede Vorwarnung die ahnungslosen israelischen Zivilisten möglichst bestialisch abschlachtete, sondern das alles – und dazu ohne jeden militärischen Nutzen, sondern einfach nur zu ihrem psychopathischen Vergnügen – auch noch filmte und voller Stolz ins Netz stellte.
Und genau das ist auch der Unterschied zwischen Hamas und IDF: ein – sagen wir mal – ziemlich anderes Menschenbild. So wie der Austausch von über 1000 Terroristen gegen einen einzigen israelischen Soldaten (“Leave no one behind”) eine andere Sprache spricht als das Platzieren von Raketenabschussrampen möglichst in der Nähe von Kindergärten oder Krankenhäusern à la Hamas oder Hisbollah.

Bleibt erstmal nur zu hoffen, dass die Grenze zu Ägypten im Süden des Gazastreifens zumindest für die Hilfsgüter ab morgen auch wirklich erstmal aufbleibt (bzw. die Hamas ihre Finger da fernhält), und der bis jetzt nur als Drahtzieher agierende Iran nicht direkt in den Krieg eingreift (z.B. wegen der beiden US-Flugzeugträger im Mittelmeer). Aber vor allem, dass möglichst viele der Geiseln da möglichst bald möglichst heil wieder rauskommen (aber wie?). Und dass Israel zumindest den militärischen Arm der Hamas so restlos wie nur möglich zur Hölle schickt, und zwar mit so wenig zivilen Opfern wie möglich (wie das gehen soll, weiß ich allerdings auch nicht), denn die Hamas ist in meinen Augen schon lange der eigentliche Feind der Palästinenser, der jede Friedensbemühung – zum Beispiel in Richtung einer Zweistaatenlösung – immer und überall bereits im Keim ersticken wird, solange es Israel gibt. Und Israel muss und wird es geben.
—–
Dass ich erst jetzt “was schreibe”, liegt übrigens daran, was “Artists Against Antisemitism” vorgestern so formulierte:”(…) Wie viele von euch standen wir erstmal unter Schock. Jede Einzelheit, die bekannt wurde, führte zu mehr Abscheu, zu mehr Trauer (…) Diese Trauer macht sprachlos. Die Wut über den Terror macht sprachlos. Und auch die Instrumentalisierung von menschlichem Leid für unterschiedlichste politische Ziele, die fast augenblicklich besonders auf Social Media einsetzte, macht sprachlos. Deshalb tun wir uns schwer mit dem teilweise kursierendem Drang, jetzt ‘irgendetwas’ sagen zu ‘müssen’. Gleichzeitig ist Solidarität das einzige, was uns in diesen Zeiten bleibt. Und die muss artikuliert werden! (…)”

Recht haben sie.

Jahresrückblick ’22

Wie jeden anderen wahrscheinlich auch hat mich Putins Gemetzel in der Ukraine am meisten beschäftigt. Viel Zeitung gelesen, Informationen nachgeholt, Diskussionen verfolgt, meine eigentliche Arbeit vernachlässigt, gespendet und erstmal lange die Klappe gehalten. Was mich zunehmend verwunderte, waren einige bisher eher geschätzte Linke, die kurz vor dem 24. Februar noch Stein und Bein geschworen hatten, dass Putin niemals in die Ukraine einmarschieren würde. Als er es dann doch tat, dauerte es keine 3 Tage, bis dieselben Leute der Ukraine empfahlen, möglichst schnell die Waffen zu strecken, da sie gegen die russische Armee ja sowieso keine Chance hätte. Und als auch das sich als Irrtum erwies, in der Folge dann Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegstreiberei brandmarkten (und auch weiterhin Kapitulation empfahlen), diesmal allerdings mit dem Hauptargument, dass nur auf diese Weise das Töten endlich beendet werden könne. Und dass Putin dann bestimmt ganz lieb sein werde und sowas keinesfalls als Aufforderung begreifen würde, als nächstes etwa in Moldau einzumarschieren. Trotz Atombombendrohung. Man forderte in offenen Briefen Verhandlungen, ohne benennen zu können oder zu wollen, worüber denn eigentlich. Denn mittlerweile war ziemlich klar, dass die einzigen Argumente, die Putin bei Verhandlungen akzeptieren würde, in der militärischen Stärke des Gegners bestanden. Und der Gegner hieß Amerika bzw. “Der Westen”. Gefundenes Fressen bzw. der kapitalistische Feind schlechthin, und “der Feind meines Feindes ist mein Freund”. Dass der mittlerweile schon lange mit Kommunismus nichts mehr zu tun hatte, sondern längst zu einer Ein-Mann-Autokratie degeneriert war, zählte dabei dann auch kaum noch. Man rechnete also der Nato erstmal in aller Ruhe die Fehler der letzten 50 Jahre vor, verschwieg auch die Korruption und die nazistischen Umtriebe in der Ukraine nicht (die weit größeren – in beiderlei Hinsicht – in Russland allerdings schon), und nahm sich fortan überhaupt alle Zeit der Welt für jede noch so spitzfindige Akribie (solange sie nur auf die Schuld des Westens hinauslief), nur für eines nicht: Der Ukraine irgendwie gegen Putin zu helfen. Ach, machen wir´s kurz: Ich verstehe manche dieser Leute einfach nicht mehr. Schade.

Währenddessen tourten Tocotronic unter dem Slogan “Nie wieder Krieg” durch Deutschland, was natürlich nicht so gemeint war, wie es sich auf den ersten Blick hin las, sondern viel subtiler (nee, schon klar, aber ein Entspannungstee gleichen Namens bei Alnatura wäre vielleicht auch keine schlechte Geschäftsidee), und Precht/Welzer landeten einen Bestseller, in dem sie sich darüber beschwerten, dass ihre Meinung – u.a. Kapitulationsempfehlungen an die Ukraine – nicht genügend wahrgenommen würden.

Dann gingen die Proteste im Iran los,.”Weine nicht, wenn ich morgen gestorben bin, denn heute warst du nicht an meiner Seite”, sagte der Rapper Toomaj Salehi, kurz bevor er verhaftet wurde. Aber auch das scheint viele Linke nicht sonderlich zu interessieren, denn der Aufschrei ist nicht halb so groß wie er es wäre, sollte mal wieder irgendwas gegen Israel anliegen. Wo bleiben eigentlich all die BDS-Verteidiger, wenn man sie mal braucht? Versteh ich auch nicht.

Und während all der Zeit musste ich auch so langsam mal mein nächstes Album fertigstellen, so dass ich mir nichtmal eine Karte für Bob Dylan gesichert hatte, der Anfang Oktober in Berlin gastierte. Claudia Denker allerdings bestand darauf, dass ich genau das aber bitteschön zu tun habe, andernfalls ich es vielleicht für den Rest meines Lebens noch bereuen würde. Na schön, also besorgte ich mir auf die Schnelle einen der letzten Plätze (225 Euro, Barhocker direkt an der Balustrade), unterbrach meine Arbeit, und siehe da, Claudia Denker hatte – wie fast immer – völlig Recht gehabt: Ich hätte es bereut, denn das Konzert war magisch. Vollkommene Stecknadel-Stille im Saal bei wunderbar transparentem Sound, beste Voraussetzungen also, so ein Konzert auch nach allen Regeln der Kunst zu vermasseln. Aber Dylan zauberte. Es gab Passagen, in denen die Band fast völlig aussetzte, und man jedes kleinste Detail seiner Stimme in allen Nuancen mitkriegen konnte, und er nutzte das. Die Dekonstruktionen seiner eigenen Texte und Melodien sind völlig aus dem Moment geboren, aus einer Art Ursuppe oder Chaos, das leicht ins Nichts abstürzen, aber bei Gelingen auch geradezu Blitze erzeugen kann, die einem dann durch Kopf und Körper gehen. Das ist eine ganz eigene und auf nichts als poetische Essenz zielende Kunstform, die er da erfunden hat, wobei selbst falsche Töne hier und da überhaupt keine Rolle mehr spielen. In vieler Hinsicht also das diametrale Gegenteil zu jemandem wie Glenn Gould, den ich in letzter Zeit auch gerne höre. Apollon und Dionysos in ihrer jeweiligen Reinform, gewissermaßen.

Bücher gab´s auch ein paar zwischendurch, zum Beispiel Rayk Wielands “Beleidigung dritten Grades” (was für eine Sprachbeherrschung), Johannes Groschupfs “Hyänen” (schlanker Schreibstil, der es irgendwie faustdick hinter den Ohren hat) oder auch Peter Grandls “Turmgold”, dem Nachfolger von “Turmschatten” (vor allem spannend – und auch mit detailreichen Infos über die haarsträubend mangelhafte Aufarbeitung deutscher Neonazi-Umtriebe bis in die Gegenwart, allerdings manchmal auch mit unfreiwillig komischen Satzkonstruktionen wie “… und legte seine rechte Hand auf Manfreds Schulter, an der zwei Finger fehlten.”).

Und gerade hab ich etwas angefangen, das mir sehr vielversprechend scheint: Mohamed Mbougar Sarr – “Die geheimste Erinnerung der Menschen”. Ein im Senegal aufgewachsener Autor, der in Frankreich studiert und vor einem Jahr den Pris Goncourt abgeräumt hat. Ähnlich angelegt wie der erste Teil von Roberto Bolaños “2666″: in diesem Fall sind´s ein paar Schriftsteller auf der Suche nach einem vergessenen afrikanischen “schwarzen Rimbaud”, deren interne Diskussionen über Literatur sich dann u.a. so anhören: “(…) alle bekamen ihr Fett ab (…), auch die Journalisten und Kritiker, die die Bücher nicht mehr bewerteten, sondern sie nur noch nacherzählten, weil sie die Idee begrüßten, dass alle Bücher gleich gut seien, dass subjektive Geschmacksurteile das einzige Unterscheidungskriterium bildeten und es daher keine schlechten Bücher gebe, nur Bücher, die man nicht möge, und die Schriftsteller, die jeglichen Anspruch an Sprache oder Schöpfungskraft aus ihrer Arbeit verdammt hatten und sich mit einem platten Abklatsch der Wirklichkeit begnügten, der von der omnipotenten und tyrannischen Abstraktion, die sich “der Leser” nennt, keine eingehendere Anstrengung verlangt (…) “. Ganz nach meinem Herzen.

Und selbstverständlich – um auch das nicht zu vergessen – würde ich jederzeit die Letzte Generation verteidigen gegen Bazis, die daraus gerne eine neuen RAF konstruieren würden.

So, jetzt hamwas aber.

(Siehe auch hier: http://culturmag.de/highlights/danny-dziuk/147305?fbclid=IwAR1yDp_3P4qulNkfiCIo0Ag6YIOFcg1Vrrxikxyc01Zd_sEuqlGgVtIAIHw)