Seifenblasenmaschine

Am 13. November 2020 kommt bei “Timezone” das neue Album der Songschreibsängerin Krazy raus, das ich produziert bzw. auf dem ich eine Menge Instrumente gespielt sowie hier & da auch mitgesungen hab. “Seifenblasenmaschine” wird´s heißen. Hier ein paar Sätze dazu:

Über Krazy und unsere Zusammenarbeit

Krazy ist die deutschsprachige Lisbeth Salander des Tower Of Song. Dafür würde ich jedenfalls plädieren, wenn es eine solche Kategorie gäbe (& ich mich in einer entsprechenden Jury befände). Denn ich kenne sonst niemanden, der derartig aus dem Dunkeln käme mit derartig viel Talent, schwer durchschaubaren Überlebensstrategien und einer Sturheit und Ausdauer, die man kaum hoch genug einschätzen kann. Und so real, dass man in eine Tischkante beißen möchte, um es anderen klarzumachen.

Ich lernte sie vor etwa 2 Jahren im Rahmen eines Liedermacher-Abends (*1) in Köln kennen, an dem ich auch beteiligt war. Der Laden war sehr voll, und als sie anfing, weiß ich vor allem, dass ich schlagartig sehr wach wurde. Voll wach quasi.

Eine solch gewagte Mischung aus Kaltschnäuzigkeit, unverschämt präzisen und kurz angebundenen Texten sowie einer fast gebieterischen Ernsthaftigkeit – und das auf deutsch, ohne dabei peinlich, prätentiös oder aufgesetzt zu wirken… sowas war mir schon lange nicht mehr über den Weg gelaufen. Mit Liedermacherei hatte das eher wenig zu tun:

“mit meinen Waffen wird nicht gedroht
mit einem Lächeln bist du tot”

Keine Umwege, keine Gefangenen, keine Hintertüren. Vorgetragen zu einem Rhythmus auf einem Stück Blech. Und dann – zu einer sehr schnörkellos gespielten Gitarre und mit einer Stimme, auf der man laufen konnte – Zeilen wie:

“n´Zauberer glaubt nich an Wunder
n´ Sänger glaubt nich an Talent
du glaubst an mein Feuer
aber ich bin die, die brennt”

Das war “Three chords and the truth” à la Johnny Cash. Abwechselnd konnte man im weiteren Verlauf ihres Sets auch wahlweise an Ikonen wie Rio Reiser oder die frühe Patti Smith denken, wenn man unbedingt wollte, oder auch an die kontrollierte Wut und düsteren Wortkaskaden eines unpathetischen Nick Cave. Der zurückhaltende Punk und Rock´n Roll einer merkwürdigerweise sehr unverbiesterten Poète Maudit.
Weitere Eindrücke (ungeordnet): Permanent durchscheinend auch ein – gelinde gesagt – nicht sehr alltäglicher Erfahrungshintergrund. Plus eine seltene künstlerische Unschuld sowie die Ausstrahlung von jemandem, bei dem es sowas wie Prinzipien gibt, die nicht verhandelbar sind. Trotzdem ein derartig lapidares Understatement der ganzen Person, dass es die Qualität oder massive Substanz dessen, was sie da bot, beinah konterkarierte (schwer zu entscheiden, ob es sich dabei jetzt um Demut oder Arroganz handelte, möglicherweise beides). Teil davon vielleicht auch, dass es ihr nicht ganz gelang, auch ihre offensichtliche Bildung möglichst komplett herunterzuspielen.

Was war das also für ein Biest, das solche Widersprüche scheinbar mühelos in Übereinstimmung brachte?

Und so freundeten wir uns denn im Laufe des weiteren Abends ein bisschen an, und als ich später – im stillen Kämmerlein quasi – dann ihr einziges bis dahin erschienenes Album hörte, verstärkte sich dieser erste Eindruck noch: diese Frau war ein Rätsel bzw. völlig unmöglich. Sowas durfte es eigentlich gar nicht geben – oder wurde schon lange nicht mehr gebaut. War ich aus der Zeit gefallen? Und was würde passieren, wenn die eine Band im Rücken hätte? Auch das waren so Fragen…

“Du machst mir Spaß…”, hatte sie am Ende des Abends zu mir gesagt. Einer ihrer typischen Sibyllinismen, ähnlich wie:

“ich steh für dich im Rampenlicht
du stehst für mich im Raum” (*2)

Woraus sich dann – um´s sehr kurz zu machen – über die letzten 2 Jahre eine recht intensive sporadische Zusammenarbeit ergab. Wir fingen an mit einem zunächst gemeinsam geschriebenen Stück, und dann lieferte sie einen Song nach dem anderen, wir trafen uns gelegentlich in Berlin – oder schickten uns gegenseitig Aufnahmen zu: sie ihre Stimme (und Vorschläge), ich meine Arrangements (und Ideen), und so entstand langsam aber sicher ein ganzes Album, das – nach einem letzten Schliff durch weitere Aufnahmen im RecPublica Studio in Lubzra/Polen – jetzt tatsächlich fertig ist, Halleluja! – Es ist “heller” geworden als ihr Debut, ja sogar für ihre Verhältnisse fast freundlich. Und ich bin mir sicher, dass viele dieser Songs sehr lange halten werden.

Krazy ist eine, die in ihrem Leben nie Kompromisse gemacht sowie sämtliche dazugehörigen Risiken in Kauf genommen hat, soweit ich das beurteilen kann. She “paid her dues”, wie der Songster sagt, und zwar doppelt und dreifach. Wobei in einer Kultur – das mal eben zwischendurch bemerkt-, in der sich selbst Gummibärchen ungestraft Rückgrat, Authentizität und Unverbiegbarkeit bescheinigen dürfen, an einer wie ihr sich notgedrungen die Begriffe verwirren.

Zwischendurch schrieb sie en passant auch noch einen Roman über ihr jahrelanges Leben als Strassensängerin (*3). Als Reaktion auf die damalige literarische Schnösel-Sensation namens “Tristesse Royal”, falls sich jemand daran erinnert. Ihr Buch erschien in dem ziemlich hochkarätigen Libelle-Verlag, die Rezensionen waren durchweg gut, aber es versandete. Im aufstrebenden Neoliberalismus am Anfang der Nuller Jahre wollte man solche Stimmen wahrscheinlich eher nicht hören.

“Man kann formal ordentlich arbeiten, aber zum richtigen Funkenschlag braucht es doch mehr… Abgesehen von innerer Notwendigkeit und Charisma (starke Faktoren, klar) vielleicht wirklich den geneigten Zuhörer, der quasi den Stromkreis schließt?” – schrieb sie mir mal. Ja, sie ist ein Solitär, mit niemandem im Bett und keinem was schuldig. Diese seltene Spezies braucht eine Bühne, um optimal in Kommunikation mit dem Rest der Welt zu treten: lohnt sich, falls es dazu kommt, dann für beide Seiten.

Und so hab ich sie jetzt mehrfach live gesehen, unter anderem auch im Berliner Roten Salon vor einem auf Witze und Invektiven bedachten Publikum von Kurt Krömer. Sie stellte sich vor mit “Ich bin hier heute die schlechte-Laune-Beauftragte”, meinte es auch genau so, und die Leute kapierten, dass es zu solch einem Statement in diesem Zusammenhang zumindest eine Menge Chuzpe brauchte, wodurch eine gewisse gespannte oder knisternde Aufmerksamkeit entstand. Und in diese Stille hinein zauberte Krazy dann ihre so schön präzise und knapp konstruierten Verse. Jeder spürte die Fallhöhe – und gleichzeitig, wie unbeeindruckt und mühelos sie dann über dieses von ihr selbst gespannte Seil hinwegsegelte. Kurz, man feierte sie.

Und Wiglaf Droste, als er noch sterblich war, schrieb mir folgende Zeilen, nachdem ich ihm einen entsprechenden Link zu ihrem vorhin bereits erwähnten Album hatte zukommen lassen:
“… Bisher habe ich nur Lieblingslieder, ich höre nie mehr als eins auf einmal, das dann zweimal hintereinander, dann ist Pause. Das ist zu gut für weniger als 100% Konzentration.
Da das Album 2011 erschien, frage ich mich: Was hat die Frau seitdem gemacht? Klug genug gewesen, ihr Konzentrat nicht zu verdünnen? Oder die üblichen widrigen Umstände, die nichts auf Dauer verhindern, aber eben verzögern können?
… Es ist sehr anspornend zu wissen, dass da draußen jemand rumläuft, der die Latte mal wieder richtig hoch hängt.”

Lass ich jetzt mal als Schlusssatz so stehen.

Danny Dziuk (Juli 2020)
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*1 – Eingeladen hatten das Duo Barth/Römer am 21.04.2018 im “Gasthaus im 1/4″ – danke dafür nochmal.

*2 – “88″, aus Krazys neuem Album

*3 – Uta Titz: “Stella Runaway”