Nach soviel Eigenwerbung beim letzten Mal – als Ausgleich sozusagen – Fremdwerbung. Kam so, daß jemand mich fragte, ob´s nicht irgendwas an deutschsprachigen Veröffentlichungen der letzten Zeit gäbe, über das ich gerne schreiben würde. Ich sagte: klar, Dota Kehr. Die Kleingeldprinzessin. Hat ne neue Platte raus namens „Immer nur Rosinen“, an der´s – klar – vielleicht auch ein paar Kleinigkeiten zu mäkeln gäbe, aber wer wird schon allzu spitzfindig werden, wenn das Gesamtbild geradezu nach einer kleinen Hymne schreit.
Alleine schon aus Freude darüber, im „Kampf der Kulturen“ (grrrrrrr!) mal wieder jemanden gefunden zu haben, bei der man auch ohne Gewissensbisse denken darf: ja, so geht das auch, so kann man das machen. Passiert ja selten genug. Here we go:
Ambivalenz Royale
Dota Kehr ist eine der ganz wenigen, die die angeblich so sperrige deutsche Sprache zum Singen & Tanzen bringen können. Ausgeschlafen & auf eine sehr unprätentiöse Art blitz-intelligent. Womit ich nicht sowas langweiliges meine wie klug, hochphilosophisch oder kreuzbelesen (geschweige denn selbstredend Szene- oder DumpfbackenSlang aus Neandertalien).
Sie hat eine Art Reise hinter sich: aus Hingezogenheit zu Spielarten lateinamerikanischer Musik (z.B. Joao Bosco, Chico Buarque) – verbringt sie längere Zeit in Brasilien, lernt dort Portugiesisch, spielt mit & lernt von dortigen Musikern, & als sie zurückkommt, weiss sie, wie das geht: zum Beispiel Bossa Nova. So in etwa die musikalische Basis, das Herz.
Drumherum kreisen wie kleine Satelliten jedoch auch noch andere Welten: von Modern Jazz bis Django Reinhardt, Balkanfolklore, Goran Bregovic, Anflüge von Klezmer, Chanson. Dann Dancehall, Ska, Raggae. Und von Motown bis hin zu einer Art Neofolk.
Begleitet & umgesetzt von ihrer Band aus jungen Jazzmusikern, die´s können (wobei ich übrigens nicht der Meinung bin, daß Kunst von Können, sondern immer noch von Müssen kommt. Aber egal, anderes Thema, & ich muss mich kurz fassen). Originelle Ideen, die sie da beisteuern, Sounds zum Beispiel: ein brasilianisches Harmonium, das trotzdem irgendwie nach Pariser Tristesse klingt (& der entsprechende Song hat übrigens eine ähnlich rigorose Lakonie wie die Sven Regeners manchmal). Seltsam gläserne elektrische Gitarren, & bei „Mond“ z.B. erinnert mich der Raum des Schlagzeugs entfernt an Tom Waits. All sowas jedoch zweckdienlich eingesetzt zugunsten der jeweiligen Songidee, d.h. das Gesamtbild (welche Spielereien auch immer) ergibt einen Sinn & eine Sprache. Und deshalb macht´s auch Spaß, zuzuhören, was sie da so alles sonst noch veranstalten. Selbstverständlich weit abseits (falls überhaupt erwähnenswert) vom üblichen akustischen Gentomatenmatsch, der einem seit gefühlten etwa 237 Jahren so aus Radios, tiefergelegten BMWs, Handys oder Ohrstöpseln entgegenquillt. Wie auch immer.
In all das webt die Kleingeldprinzessin jedenfalls ihre Geschichten & Bilder, die Stimme federleicht & absolut unpathetisch, obwohl manche der Untertöne hier & da durchaus etwas gänzlich anderes zu erzählen scheinen. Was wiederum eine Art elektrischer Spannung erzeugt. Ähnlich wie die Geschichten, die unter den eher physisch-fröhlichen Klängen des ursprünglichen Bossa Nova erzählt werden, ja auch durchaus todtraurig sein können: man muss sie eben wegtanzen. Darin besteht der Magnetismus wie auch die Heilwirkung. Das Gegenteil von Verdrängen & krank werden: Benennen & rhythmisieren.
Und Dota Kehr benennt. Soweit einem das eben möglich ist in einer – sagen wir – immer undeutlicher werdenden Welt (was eben auch gleichzeitig einen Grossteil ihrer so schönen Integrität ausmacht: sie tut nicht so, als wüsste sie mehr. Sondern geht einfach nur bis an die Grenze dessen, was sie glaubt, sagen zu können, ansonsten nichts darüber hinaus. Henry Miller schrieb in seinem Buch über Arthur Rimbaud an irgendeiner Stelle , daß sich schriftstellerisches Format manchmal vor allem an Themen erkennen lässt, über die jemand nicht schreibt . Yessir! Obwohl´s bei Rimbaud einen anderen Grund hat, aber egal. Vielleicht könnte man in diesem Fall ja auch einfach nur sagen: die Kleingeldprinzessin erzählt keinen Scheiss).
Zum Beispiel erfindet sie Wörter wie „Personalchefetageneffizienzmanagement“ (oder „Versandhauskatalogbeispielbestellbögen“). Für meinen Geschmack jedenfalls wesentlich deutlicher & genauer als Prekariat. In dieser Richtung nämlich sind Leute, die hier irgendwas prekär machen, weit eher zu suchen als in den globalen banlieues. Oder sie macht einen Refrain aus dem Wort „Die Funktionalisierer“.
Solche Sachen funkeln kurz auf, sind dann aber schneller wieder verschwunden, als man ein Wort wie „Sozialkritik“ auch nur denken könnte. Sie ist zu schlau & zu schnell, sich von Kritizismen überhaupt ihrenTon bestimmen zu lassen.
Denn der ist ein anderer & liest sich zum Beispiel so (während sie in einer Art liebevollen Hommage ihre Sichtweise des ach-wie-revolutionären, erster-Mai-erprobten & angeblich so superhipharten Berliner Stadtteils Kreuzberg verewigt, wo sie momentan lebt): „Und der Abend kommt langsam dämmernd und träge / man spricht viele Sprachen und geht seiner Wege“. Noch Fragen?
Falls ja, wie würde man das nennen: Lakonie, Melancholie? Schwebezustand oder Bodenständigkeit? Coolness oder doch eher Wärme? Vielleicht ja auch Desillusioniertheit. Oder doch eher Tagträumerei? Schwierig, was? Vielleicht ja auch gar nichts von alledem oder alles zusammen. Oder vielleicht ist ja auch diese ganze marketingtopicsorientierte Verscherbelwörterabruferei der creativabteilungsverseuchten Werbeagenturenmentalität-„in-
unseren-Köpfen“-oder-so-ähnlich bereits völliger Quatsch.
Denn spätestens, wenn man sie das auch singen hört, lösen sich solche Begriffe entweder in Luft auf oder reihen sich zumindest eher perlenkettenartig nebeneinander, oh hochsensibles Synchronquakel- & Orakelgremium unserer – vor allem gegenüber obig angedeuteten & besonders ekligen SupercrispyFlachpfeifen – immerhin noch hochgeschätzen Feuilletonakrobaten: Konzentration und Entspanntheit, Distanz und Nähe, gesunder Menschenverstand und eine gewisse Schräglage, ein extrem gutes Gefühl für den Klang von Wörtern und deren Sinn.
Also weder bereit zu sein, seinen Verstand an der Künstlergarderobe abzugeben noch sich von erstbesagtem diktieren zu lassen, wie man denn zu tanzen hätte. Sprich: die Tassen nicht nur möglichst alle im Schrank zu haben, sondern auch noch da, wo sie hingehören.
Was wiederum ein kreuzverflixthohes Mass an Selbstbestimmtheit zur Vorraussetzung hat. Zugabe gefällig? „Ich schreib Dir ein paar Reime / ans Fenster, in Spiegelschrift. / Kletter dafür auf ein Baugerüst./ Oder bau´s selbst erst hin./ Schau, wie hoch ich geklettert bin! / Daß Du´s gut lesen kannst von da drin…“ – und dann setzt sie sogar noch einen drauf: „und wenn nicht / nicht so schlimm… / war nicht so gemeint./ Ich dachte bloss, ich lass Dich selber nachsehen, /
ob sich´s reimt.“ Und? – Tut´s das?
Mit dieser Kleingeldprinzessin wird jedenfalls zu rechnen sein, und weissgott nicht in Klimpergeld.
danke, sehr schöne kritik.
formulierungstechnisch wird da schon ein brett aufgefahren, das einen fast erschlägt, dann aber doch noch immer wieder in eine sich aus genauem hinhören, -fühlen und -denken speisende lobpreisung der wunderbar warmen musik dota kehrs mündet. nach der lektüre dieser kritik habe ich richtig lust bekommen, die platte wieder durchzuhören. was will ich mehr?
Irgendwo stecken sie doch, die kleinen Schätze.
Danke für den guten Tipp zu Dota Kehr. Ich habe gleich nach deren Homepage geschnüffelt und bin bereits von den dort hinterlegten Songs beeindruckt, und werde mir demnächst mehr davon gönnen.