Stockholm Syndrome

… zurück von der Tour… gemischte Gefühle, was die Musik angeht bzw. meine Rolle dort als Keyboarder (muss sich erst mal ordnen); die wichtigen Gigs waren zweifellos erfolgreich & das wird sich herumsprechen, doch mit meinem Zeugs hat das alles nicht viel zu tun… z.B. mag ich keine allzulangen & ausufernden & dazu andauernden Gitarrensoli (das ging mir schon bei anderen auf den Keks) oder zu grosse & theatralische Gesten (keinen Bock auf Stadionrock)… hab’s eher mit möglichst präzisem Understatement… klar, es wird einem viel auf die Schulter geklopft bzw. eine grosse Zukunft prophezeit & all sowas, bin mir nur leider nicht sicher, ob ich Teil davon sein will (das sind Probleme, was !?).

Aber mal abgesehen davon kriegt man schon was zu sehen: z.B. Nashville mit seiner Country-Vergangenheit, Chicago mit seinen urbanen Blues-Legenden á la Howlin’ Wolf, dann fahren wir durch das weite Minnesota, wo ich natürlich an Dylans “Girl from The North Country” denke “… where the wind hits heavy on the borderline… where the rivers freeze & the summer ends… snowflake storms…” (ich frage unsere Fahrerin nach diesen “Schneestürmen” im Winter… sie sagt:” Schneestürme ? Eher Hurricanes & Tornados…” – Dylan hat untertrieben); wir kommen an Fargo vorbei (der Coen-Brüder-Film, diese endlos langen, geraden Landstrassen); dann Lexington/Kentucky mit seinen Pferdekoppeln, wo ich zum ersten Mal eine Beinah-Bruchlandung mitmache (rabenschwarzes Gewitter & Sturm, doch der Pilot riskiert’s dann beim zweiten Anlauf trotzdem, haarscharf); Richmond, wo E.A. Poe lebte (mit seinen trostlosen Suburbs wie sowieso die meisten Städte, wo alle nur in ihre Autos eingeschweisst sind bzw. niemand auf den Strassen, als hätte man Angst vor irgendeinem Kettensägenmonster, was weiss ich, jedenfalls ganz schön paranoid & keiner lacht); dann wieder Athens/GA, wo`s im Gegensatz dazu wirklich ein paar sehr schöne & lebendige Viertel hat; vielleicht, weil Bands wie R.E.M. hier herkommen.

Bald danach Oxford, Mississippi, ein wunderbares Städtchen, wo ich mir Faulkners Haus anseh (diese Südstaaten-Buddenbrocks) bzw. vor 40 Jahren noch der ekelhafteste Rassismus herrschte, aber das ist vorbei jetzt; ein Studenten & Literaten-Ort mit einer sehr schönen & antiken Buchhandlung, wo man sich auf eine lange Veranda mit Schaukelstühlen setzen kann & Kaffee trinken, neben sich einen Stapel Bücher (die man nicht mal zu kaufen braucht, selbst wenn man stundenlang darin herumgeblättert hat & im September wird hier Kinky Friedman lesen, der übrigens in Texas gerade für den Gouverneursposten kandidiert, haha ) & irgendwie spukt einem Huckleberry Finn durch den Kopf & nicht weit davon entfernt dazu die legendäre Kreuzung, an der Robert Johnson seinen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben soll, um besser Gitarre spielen zu können. Dann New Orleans, Wiege des Jazz, Bluegrass & was nicht allem – mit seiner höchsten Kriminalitätsrate der USA, The Big Easy nennen sie es (hier ist alles leicht zu beschaffen), der Schmelztiegel überhaupt.

Wally nimmt mich mit zu einem superdurchgeknallten Millionär & ich bin froh, als ich den wieder los bin…. in der Nähe hatte bis vor kurzem Daniel Lanois sein Studio, hier kommen die Neville Brothers her… abends spielen wir im “Tipitinas”, dem Club dort, wo Professor Longhairs Bronzestatue steht, die vor Voodoo schützen soll (sicher ist sicher). Hinter der Bühne beehrt uns “Zigaboo” Modeliste, Drummer der legendären Meters , Erfinder des Funk. Viel näher Dransein geht nicht & was ist real & was ist Mythos ? Alles hier ist voll davon. Dann irgendwann Dallas, wo sie Kennedy erschossen haben & auch ansonsten ein Scheiss-Stadt. Genauso wie Houston. Wohingegen Austin eine blühende Musikszene beherbergt & dort spiele ich in einem kleinen Studio zur Gitarre von Charlie Sexton, Himmel ! Die ganze Tour endet in den Rockies am Colorado River, weit oben, wo er noch völlig klar ist. Wunderschönes kleines Festival direkt unter den Sternen. Wenn nur diese langen Gitarrensoli nicht wären. So, das soll aber jetzt mal reichen an Schlaglichtern & denn dann geht’s direkt am nächsten Morgen 22 Stunden lang zurück nach Berlin, wo ich selbstverständlich nur noch auf dem Zahnfleisch ankomme. Und wo war ich jetzt noch mal stehengeblieben?

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