Eine vielleicht interessante Passage aus Harry Mulischs “Entdeckung des Himmels” über Musik & Worte (3 Personen kommen vor: Max, ein Musikliebhaber; eine Cellistin, zu der er redet; und sein bester Freund Onno, der überhaupt nichts von Musik hält, über den er redet):
Max zur Cellistin: „Mit dir kann ich wenigstens darüber (über Musik) sprechen, obwohl du auch keine blasse Ahnung (davon) hast, aber das hat niemand. Weißt du, was Onno einmal sagte, als ich über Musik zu reden anfing? Er schüttelte den großen Kopf und sagte: >Musik ist für Mädchen<. (...)
“
Cellistin: „Warum soll Musik nur etwas für Mädchen sein?“
Max: „Das darfst du nicht so wörtlich nehmen. Als ich mir einmal ein Eis kaufte, sagte er: >Eis ist für Pastoren<. Musik gibt es nicht für ihn, er hält sie für Klang ohne Bedeutung. Für ihn haben nur Worte Bedeutung. Was er gegen die Musik hat, ist wahrscheinlich, dass sie für viele Menschen ein Fluchtweg ist, eine Art Zauberformel zum Entkommen, nach dem Motto: die gibt es auch noch. Vielleicht hält er Musik für einen feigen Trost. Er hat mir übrigens einmal erzählt, dass das griechische mousiké techné – die >Kunst der Muse< - im Mittelalter vom altägyptischen Wort moys abgeleitet wurde, das >Wasser< bedeutet. Damit wurde Moses zum Erfinder der Musik, denn sein Name bedeutet nach derselben falschen Etymologie >aus dem Wasser errettet<. Du weißt schon, den Schilfkorb, in dem er als Säugling im Nil gefunden wurde. Derselbe Moses, der Wasser aus dem Fels schlug und Gott in der Genesis Himmel und Erde erschaffen ließ mit dem Wort, demzufolge sein Geist über den Wassern schwebte. Es stimmt immer alles. Du übst also die mosaische Kunst aus.“ (...)
Cellistin: „Und warum ist Eis für Pastoren?“
Max: „Weil sie sich selbst was Gutes tun müssen natürlich, weil es sonst niemand tut.“
Der „Geist über den Wassern“: das Wasser die Musik, der Geist die Wörter (allerdings "göttliche", na schön, da kommen wir jetzt natürlich nicht dran, aber immerhin könnte man sich in dieser Hinsicht doch zumindest ein bisschen Mühe geben), beides zusammen also eigentlich so etwas wie ein Song! Hübscher Gedanke. Und Knut Hamsun zufolge müsste der wahre Mensch jemand sein mit einem "Lied im Herzen". Jetzt weiß ich natürlich, was man zurecht gegen Knut Hamsun alles vorbringen könnte, aber lassen wir das jetzt mal für einen Moment beiseite.
Mulisch weiter: „Die platonische Harmonie der Sphären ist schon seit Newton aus der Welt verschwunden, so wie die Harmonie der Musik mit Schönberg, zur Zeit Einsteins. Aber (...) die Tonalität ist im Augenblick dabei, zurückzukehren – nur ist die Musik inzwischen von einem Segen zu einer Plage geworden. Wir haben es hier (auf dem Land) noch relativ ruhig, hier bellen nur Hunde, aber in der Stadt gibt es kein Entrinnen mehr, überall ist Musik, und auf den Gerüsten stellt jeder Bauarbeiter sein tragbares Radio so laut, wie es eben geht. Überall ist es jetzt so wie früher auf der Kirmes. Aber all diese harmonische Musik zusammen ist eine einzige Kakophonie, neben der Schönbergs Dodekaphonie harmlos klingt. (...) Die Bombe ist explodiert (...)“.
Ja, und das Element, das in dieser “Kakophonie” all der tausendfach bereits verwendeten & gehörten musikalischen Versatzstücke namens Popmusik noch am ehesten Chancen hat, dieser totalen Beliebigkeit ein paar Konturen zu verleihen oder vielleicht sogar zu entgehen, ist vermutlich die Sprache: also das, was gesagt wird (d.h wir nehmen die wirklich ernsthaften Komponisten oder sehr avancierten Jazzer jetzt mal bewusst aus). Was auch relativ einfach zu beweisen wäre: nimm einen blöden Text & setz selbst die besten “Komponisten” da dran: da gibt´s dann nichts mehr zu retten, das ganze Ding wird immer blöd bleiben. Nimm hingegen einen brillanten Text: und es bieten sich in der Regel nicht nur sofort mehrere Möglichkeiten der Vertonung, sondern selbst ein talentloser ”Komponist” oder Sänger (“so wie du, haha” – höre ich da gerade eine Stimme aus dem Hintergrund… entschließe mich jedoch dazu, unbeirrt fortzufahren:) wird daran nicht alles zerstören können. Was ich jedenfalls sagen will: der schwierige Part – oder das, was es rausreißt – sind die Texte. Melodien finden sich an jeder Ecke.
Dylan auf seinem letzten Album z.B.: “Tempest”, der Titelsong, reitet über 40 (!) Strophen auf derselben Melodie herum. Keine musikalischen Abwechslungen, NICHTS, nur die Story, die Wörter, und wie sie gesungen – oder in dem Fall sogar eher – rezitiert sind. Das unausgesprochene Statement dazu: “IT`S WORDS, STUPID!”- Und Dylan hatte schon immer ein gutes Näschen für´s Wesentliche. Und entweder stößt einen die in diesem Fall verwendete Melodie von vornherein komplett ab, oder aber das Ganze wird von Strophe zu Strophe hypnotischer. Es fällt einem direkt vor die Füße & sagt: heb mich auf oder fahr zur Hölle. – Zugegeben, vielleicht kann sich sowas auch nur Dylan erlauben, aber es ist zumindest mal wieder ein deutliches Hinweisschild: im Zweifelsfall da lang!
Ähnlich beim Filmemachen: entweder glaubt man an eine Einstellung oder ein Bild & gibt ihm die Zeit, die es braucht, um seine Wirkung zu entfalten, oder man ist nervös & ändert das Bild alle naselang, weil man eben nicht dran glaubt oder auch der Meinung ist, dass man es der Werbung gleichtun sollte bzw. Angst hat, dass es irgendeiner dieser hippeligen ADS-Zielgruppen der Werbekonzerne bzw. Facebook-Geschädigten vielleicht langweilig dabei werden könnte.
Und auf sowas sollte man doch wohl sch… schullljung.
Und wo wir gerade bei Facebook & co. (Übersetzung nach W. Droste: “Fressenkladde”) sind: jaja, wahrscheinlich werd ich mich da demnächst auch ein bisschen breitmachen, raten mir jedenfalls alle (“Selbstfamarktung, Alta!”), und man könne sowas doch auch als reine Litfasssäule benutzen, na schön, und wenn selbst Oberpiraten wie Ch. Lauer ihren Twitteraccount zum Teufel schicken (“Man kann mir ja auch mails schreiben!”- haha!) bzw. ehemalige Verkünder-der-Heilsbotschaft-Internet wie S. Lobo darob mittlerweile deutlich differenzierter geworden sind (was mich dann wiederum freut), kann man ja vielleicht auch langsam mal damit anfangen (sorry für den langen Satz, aber der floss mir einfach gerade so reibungslos dahin). Ich warte eigentlich nur noch auf den Moment, wo mein Widerwille gegen dieses ansonsten vor allem mentale-Inkontinenz-verbreitende Medium noch ein bisschen brüchiger wird. Aber ich hör´s schon knistern. Kalt hier. Brrrrr!