Lemmy Kilmister war der Typ, auf den sich selbst extreme Seiten positiv einigen konnten, von – sagen wir – aggressiven Punks bis hin zu poststrukturalistischen Superintellektuellen. Dass die Heavy Metal-Fraktion auch dabei war, konnte man in diesem Fall durchaus vernachlässigen, wenn man das wollte.
Spielte in meinem Leben exakt 3 Mal für ihn. Das erste Mal so gegen 2003: ich war gerade mitten im Stress mit einer Filmmusik, als Ulf Zick, mein damaliger Labelchef, mich anrief & fragte, ob ich „heute“ (!) Zeit hätte. Ich sagte: „Nee, eigentlich nicht, denn ich bin gerade mitten im Stress mit einer Filmmusik.“ Er sagte: „Lemmy Kilmister ist gerade in Berlin und braucht einen Piano-track für sein Solo-Album.“ Und ich daraufhin, nach einer kurzen Pause: „Geht´s auch heute nacht so gegen Eins?“ Ulf sprach kurz mit jemandem und sagte: „Ja, geht.“ – Lemmy himself, Hilfe!
Als ich spätnachts den kleinen Aufenthaltsraum zwischen Regie & dem ansonsten riesigen Kellergewölbe von Jimmy Vox` Studio in Schöneberg betrat, spielte Lemmy irgendein Video-Spiel, sah kurz hoch, murmelte eine Art knapper Begrüßung und spielte dann weiter. Ich beschloss sofort, ihn besser auch nicht weiter zu nerven, und unterhielt mich mit Ulf und seiner Freundin, so gut es ging. Einzwei weitere Leute waren auch noch da: zumindest einer davon aus Lemmys Band, denke ich. Ich sah nicht gerade aus wie ein Wackener, und vielleicht war deshalb die Kommunikation mit ihm nicht gerade überschwänglich. Keine Ahnung. Ich beschloss, dass das vielleicht auch egal war.
Lemmy erinnerte mich irgendwie an meinen alten australischen Rock´n Roll-Kumpel Johnny Driver, auch redete er ähnlich, als wir in den Regieraum gingen und uns die Nummer anhörten, zu der ich Piano spielen sollte. Da Johnny mich irgendwann akzeptiert hatte, war das die Art von Brücke (oder Krücke), an die ich mich hielt: keinen Scheiß erzählen, immer schön knapp und möglichst auf den Punkt. Und auf keinen Fall auch nur zu versuchen, sich irgendwie interessant zu machen. Lemmy fragte, ob ich einen bestimmten Pianisten kenne, der in den 50ern mal mit Elvis gespielt hatte, und ich sagte wahrheitsgemäß „sorry, no“. Dann spielte er mir auf seinem Walkman irgendwas von Little Richard vor, um zu verdeutlichen, welche Art von Rock´n Roll-Piano er meinte. Dann ging er wieder zu seinem Video-Spiel.
Jimmy Vox stellte mir schließlich so ein kleines Plastik-Keyboard dahin, per Midi mit einem Pianosound verbunden, den er für passend hielt. Hilfe. Dann ließ er die Nummer laufen, und ich spielte zum ersten Mal mit. Lemmy kam wieder rein, stellte sich neben mich, hörte eine zeitlang zu, und verließ den Regieraum wieder, bevor das Stück zuende war. Was in mir dabei vorgegangen war, lässt sich in etwa so beschreiben: zuerst völlige Nervosität, dann aber ziemlich schnell gefolgt von: was soll´s, spiel einfach, und wenn sie dir hinterher den Kopf abreißen, auch egal. Ab da überließ ich mich – Little Richard hin oder her – einfach komplett meinem Gefühl & spielte so, wie mir der Schnabel gewachsen war, ohne Zurückhaltung oder Respekt vor irgendwas. Ich mochte die Nummer, zu der ich spielte, eine Art sehr schnelle & harte Version von einem Blues. Erinnerte mich ein bisschen an ein Stück auf einer der Soloplatten von Ronnie Wood, in die ich mal eine zeitlang verliebt gewesen war. Und genauso spielte ich auch.
Als die Musik zuende war, ging auch Jimmy Vox raus , sagte, ich möge doch bitte kurz hier warten. Ein paar Minuten saß ich allein da in dem stillen Regieraum & rauchte ne Zigarette.
Dann kam Jimmy wieder rein und sagte: „Lemmy mag, wie du spielst.“ – Danach fegte ich auf meinem kleinen Plastik-Keyboard noch ein paarmal über das Stück, immer schön nach der mir-doch-scheißegal-Devise, und dann kam irgendwann Lemmy wieder rein & Jimmy sagte „Ich glaub, wir haben´s“. Im Kasten.
Lemmy führte mich hinterher noch ein bisschen durch das Studio, zeigte mir z.B. einen Raum mit einer Reihe von nebeneinanderstehenden Marshall-Verstärkern, yes, I understand. „I played with a Rock´n Roll Band, too“, sage ich. Lemmy ist zuvorkommend, freundlich und die Ruhe selbst: das ist es, was mir besonders auffällt. Keinen Speed in den Augen oder sowas, sondern nur einfach sehr klar, blau und ruhig. Dann fragte er, ob ich noch irgendeinen Wunsch habe.
„Yes.“
„What is it?“
„Could spell my name right on the album?“
Er lacht. Schließlich steckt er mir meine Gage zu: ein paar zusammengerollte Scheine von Hand zu Hand, fast so wie früher beim Dopedealer an der Strassenecke. Thank you, Sir. Er lacht.
Zweidrei Jahre später dann eine weitere Aufnahme unter ähnlichen Umständen, quasi für dasselbe Soloalbum. Konzept: Lemmy spielt mit verschiedenen Bands, die er mag, in allen Teilen der Welt Songs ein, die dann später irgendwie zusammengefasst werden sollen auf einem entsprechenden Album.
Dann hörte ich ein paar Jahre lang nichts mehr.
Zu der Zeit, als ich gerade Annett Louisan (mit dem Gegensatz sollen ein paar Leute erstmal klarkommen) kennenlernte – also wird es wahrscheinlich Anfang 2011 gewesen sein – ein erneuter Anruf von Jimmy: Lemmy habe in L.A. gerade einen Song mit Guns n´ Roses aufgenommen, bei der ihm aber der Part des Pianisten nicht so gut gefiel. Und dann der Hammer: ob nämlich „nicht dieser Typ aus Berlin das mal spielen könnte“? – Nun, das tat ich, nur war Lemmy dieses Mal nicht mehr dabei. „Und das hier soll ich dir von ihm geben“, sagte Jimmy hinterher.
Thank you, Sir.