“Sind Antisemitisten anwesend?”

Vor kurzem ist eine gleichnamige Sammlung verschiedenartigster Beiträge gegen Judenhass im Satyr Verlag erschienen, die auch zwei Songtexte von mir enthält (einer davon mit Wiglaf Droste). Eine wirklich gute Idee zur Zeit, wie ich finde … und wie schön auch, dass sich so viele hochkarätige Leute daran beteiligt haben. Toll.
Einer meiner Lieblingsbeiträge darin handelt von Judith Butler & deren jungen postkolonialistischen Epigonen, mit denen der Autor Markus Liske offensichtlich ein paar Tage in Frankreich verbracht bzw. ein paar Hühnchen zu rupfen hat. Er bezeichnet seinen Beitrag als “gescheiterte Satire”, was aber m.E. nicht so ganz stimmt: “Außerdem gemahnten ihre ultrakurzen Ponyfrisuren auf verstörende Weise an mittelalterliche Exorzisten und jeden zweiten Satz schlossen sie mit einem leicht nachgeschobenen “genau” ab, was mich wieder daran erinnerte, dass ich schon vor längerer Zeit mal einen Essay zur Ehrenrettung des “äh” schreiben wollte.” In dem Ton ist der ganze Text gehalten, der diese Leichtigkeit trotz seines ernsthaften (äh) Contents an keiner Stelle verliert, und ich hatte damit durchaus meinen Spaß. Nö, nicht gescheitert.
Und Heiko Werning, neben Michael Bittner und Lea Streisand Mitherausgeber, fasst das Anliegen dieser Anthologie hier nochmal schön knapp und präzise (so) zusammen:

“Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober flammten weltweit nicht etwa machtvolle Proteste gegen die irren Islamfaschisten auf, sondern eher gegen die Opfer. Auch die Kulturszene befremdete häufig mit Schweigen sowie mehr oder weniger antisemitisch grundierten Free-Palestine-Parolen und pseudo-postkolonialistischem Geplapper.
Umso erfreuter war ich, dass zumindest auf unseren kleinen Lesebühnen noch einige Stimmen der Vernunft zu hören waren, lustige und elegant formulierte noch dazu. Das brachte mich auf die Idee, diese Texte in einem Buch zu versammeln und weitere stabile Charaktere zu bitten, Material beizusteuern. Freund und Kollege Volker Surmann – Autor mit seinem Satyr Verlag war gleich dabei, mit Michael Bittner fand ich einen Compañero, der das intellektuelle Rückgrat einbrachte, und so beschlossen wir, gemeinsam das Abenteuer Anti-Antisemitismus-Anthologie zu wagen. Lea Streisand war mir schon zuvor mit schönen Texten aus ihrer eigenen jüdischen Perspektive aufgefallen, umso erfreuter war ich, dass sie auf unser Angebot einstieg, als Herausgeberin mitzumachen.
Dann fragten wir von uns geschätzte Autorinnen und Autoren und waren ganz gerührt und begeistert von der Resonanz. Schließlich liegt jetzt also dieser Wackerstein gegen den grassierenden Judenhass vor, im doppelten Umfang dessen, was wir zunächst geplant hatten: lustig und angriffslustig, nachdenklich und polemisch, vielstimmig und doch ein großes Bild ergebend, nach rechts ebenso austeilend wie nach links und in die Mitte, gegen Biodeutsche wie Migranten, kurz: gegen all die furchtbaren Voll-, Halb- und Irgendwie-so-ein-bisschen-Judenhasser überall, die natürlich alle eines garantiert nie sind: Antisemiten. Oder sind etwa Antisemitisten anwesend?”

Jetzt überall im Buchhandel: Hardcover, 384 S. (inkl. 20 farbiger Cartoon-Seiten), ISBN: 978-3-910775-18-3, 26 €.
Gerne direkt beim tapferen Verlag bestellen: https://www.shoptyr.de/Streisand-Bittner-Werning-Sind…

Unterm Radar, die zweite

Zur Einstimmung für die kommenden Nachholkonzerte zum letzten Album vielleicht hier vielleicht nochmal ein Beitrag von Krazy, den sie vor etwa einem Jahr auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichte. Hab’s bisher nirgendwo zitiert oder verlinkt – und bin ganz schön froh, so jemanden mit dabei zu haben:

“Das neue Album von Danny Dziuk / Dziuks Küche trägt den exzellenten Titel UNTERM RADAR und klingt wie alle seine Produktionen: Integer. Glänzend in jeder handwerklichen Hinsicht, geliefert von einem, der jeden Weg mehrmals abläuft, um zur genau richtigen Form zu finden – sophisticated, aber mit Dreck an den Stiefeln. Jedes Register ist sorgfältig gewählt, gekonnt bedient und genau dosiert – von hypnotisch- schlicht bis durchkomponiert in mehreren Akten – stabile Harmonien, zwielichtige Atmosphären, elegische Bittersüße und unbeirrbare Coolness auf 3 Akkorden erzählen begeistert mit, was der Sänger zu sagen hat.
Durch den spricht eingangs erst mal Rio Reiser, der drüben auf dem Olymp diese Version seines Titels “Menschenfresser” feiern dürfte. Dann übernimmt Songschreiber Dziuk, als Texter herausragend vor allem darin, gesellschaftliche Fragen singbar zu verdichten: scharfsichtige Analyse unserer verwahrlosten Debattenkultur (“Alle reden durcheinander”), klare Ansagen gegen Politisierung auf Gefühlsbasis (“falscher Feind #3″), kritische Hinterfragung reflexhafter “Israel-Kritik” (“Israel”) – das alles, beweist unser Mann, ist in Songform möglich, ohne dabei an stilistischer Würde oder inhaltlicher Differenziertheit einzubüßen. Dabei steckt noch in jedem dieser Texte mehr Erkenntnisgewinn als in öffentlichen Debatten, die solche Gedankentiefe nie erreichen.
Unterm Radar des Messbaren und öffentlich Zelebrierten verortet sind auch weitere Themen des Albums: Freunde, Befremden, Szenen eines unverhofft geglückten Weiterlebens in Anwesenheit des Todes – letzte Grüße an und von Wiglaf Droste: Eine Erinnerung an gemeinsame Stunden und die Vertonung eines späten Droste-Gedichtes. Der Titelsong schließlich benennt entwaffnend klar den Elefanten, der sich immer in den Raum schleicht, wenn es um Danny Dziuk geht: “ja, ich weiß, ich sollt/ viel bekannter sein/ als ich nun mal bin/ seh ich ja auch ein” – und gern die Frage aufwirft, ob eine gewisse Erfolgshöhe und eine spezifische Qualität der Substanz sich bedingen bzw. ausschließen, und ob das dann nicht eher ein Problem der großen Öffentlichkeit ist, die eben nicht hinschaut und zuhört, wo es interessant wird… Dass dieser Songster und seine pointierte Nachdenklichkeit dort stattfinden, spricht jedenfalls unbedingt dafür, sich in diesen Gefilden unterm Radar mal genauer umzusehen.”

Betr. Solidarität mit Israel

Was Israel von jedem anderen Staat der Welt unterscheidet, ist sein Umgebensein von Feinden, die in der Regel nicht weniger wollen als dessen Auslöschung. Darunter tut’s auch die Hamas nicht, die am 7. Oktober vorgeführt hat, wie das aussehen würde, wenn man sie ließe.

Und mit diesem Horror im Nacken tun die Israelis jetzt eben alles, um genau das – und zwar für möglichst lange Zeit – zu verhindern. Und da spielt dann Netanjahus verfehlte Politik der letzten Jahre völlig zu Recht auch erstmal keine Rolle mehr.

Jedenfalls ist die Frage jetzt, ob die jeder Beschreibung spottenden Bilder, die die Hamas der Welt dabei vor zehn Tagen vor die Füße schmiss, der Welt auch gut genug im Gedächtnis bleibt, wenn allmählich andere Bilder in den Vordergrund rücken werden: nämlich die von palästinensischen Opfern. Babies, Kinder, Mütter, Alte, Wehrlose. Die Hamas tut jedenfalls alles dafür. Sie benutzt dabei die eigene Bevölkerung nicht nur als Schutzschild, sondern opfert sie auch für ihren eiskalt kalkulierten Krieg der Bilder. Und behindert sie sogar bei ihrer Flucht vor der angekündigten israelischen Bodenoffensive, nur um die Opfer dann filmen und der Welt unter die Nase reiben zu können, – als Beweis für die angebliche Rücksichtslosigkeit Israels. Und das alles gerechtfertigt und abgesegnet durch das höllische Ideal ihrer islamistischen Ideologie (und mutigerweise von Katar aus, wo ihre Anführer zu residieren geruhen).

Gewählt wurde im Gazastreifen jedenfalls schon seit 2006 nicht mehr, und abweichende Meinungen enden sehr schnell in Folterkellern oder mit Hinrichtungen. Und mir ist vollkommen schleierhaft, was z.B. einige unserer postkolonialen (und über BDS bis hin zu extinction rebellion) Linken daran sympathisch finden können. Die Hamas hat nichts, aber auch gar nichts mit irgendeiner Art von Freiheitskampf zu tun, und ihre eigene Bevölkerung ist ihr offensichtlich bei weitem egaler als den Israelis, die sie zumindest mit allen Mitteln zu warnen versuchen – während die Hamas nicht nur ohne jede Vorwarnung die ahnungslosen israelischen Zivilisten möglichst bestialisch abschlachtete, sondern das alles – und dazu ohne jeden militärischen Nutzen, sondern einfach nur zu ihrem psychopathischen Vergnügen – auch noch filmte und voller Stolz ins Netz stellte.
Und genau das ist auch der Unterschied zwischen Hamas und IDF: ein – sagen wir mal – ziemlich anderes Menschenbild. So wie der Austausch von über 1000 Terroristen gegen einen einzigen israelischen Soldaten (“Leave no one behind”) eine andere Sprache spricht als das Platzieren von Raketenabschussrampen möglichst in der Nähe von Kindergärten oder Krankenhäusern à la Hamas oder Hisbollah.

Bleibt erstmal nur zu hoffen, dass die Grenze zu Ägypten im Süden des Gazastreifens zumindest für die Hilfsgüter ab morgen auch wirklich erstmal aufbleibt (bzw. die Hamas ihre Finger da fernhält), und der bis jetzt nur als Drahtzieher agierende Iran nicht direkt in den Krieg eingreift (z.B. wegen der beiden US-Flugzeugträger im Mittelmeer). Aber vor allem, dass möglichst viele der Geiseln da möglichst bald möglichst heil wieder rauskommen (aber wie?). Und dass Israel zumindest den militärischen Arm der Hamas so restlos wie nur möglich zur Hölle schickt, und zwar mit so wenig zivilen Opfern wie möglich (wie das gehen soll, weiß ich allerdings auch nicht), denn die Hamas ist in meinen Augen schon lange der eigentliche Feind der Palästinenser, der jede Friedensbemühung – zum Beispiel in Richtung einer Zweistaatenlösung – immer und überall bereits im Keim ersticken wird, solange es Israel gibt. Und Israel muss und wird es geben.
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Dass ich erst jetzt “was schreibe”, liegt übrigens daran, was “Artists Against Antisemitism” vorgestern so formulierte:”(…) Wie viele von euch standen wir erstmal unter Schock. Jede Einzelheit, die bekannt wurde, führte zu mehr Abscheu, zu mehr Trauer (…) Diese Trauer macht sprachlos. Die Wut über den Terror macht sprachlos. Und auch die Instrumentalisierung von menschlichem Leid für unterschiedlichste politische Ziele, die fast augenblicklich besonders auf Social Media einsetzte, macht sprachlos. Deshalb tun wir uns schwer mit dem teilweise kursierendem Drang, jetzt ‘irgendetwas’ sagen zu ‘müssen’. Gleichzeitig ist Solidarität das einzige, was uns in diesen Zeiten bleibt. Und die muss artikuliert werden! (…)”

Recht haben sie.