Jahresrückblick ’22

Wie jeden anderen wahrscheinlich auch hat mich Putins Gemetzel in der Ukraine am meisten beschäftigt. Viel Zeitung gelesen, Informationen nachgeholt, Diskussionen verfolgt, meine eigentliche Arbeit vernachlässigt, gespendet und erstmal lange die Klappe gehalten. Was mich zunehmend verwunderte, waren einige bisher eher geschätzte Linke, die kurz vor dem 24. Februar noch Stein und Bein geschworen hatten, dass Putin niemals in die Ukraine einmarschieren würde. Als er es dann doch tat, dauerte es keine 3 Tage, bis dieselben Leute der Ukraine empfahlen, möglichst schnell die Waffen zu strecken, da sie gegen die russische Armee ja sowieso keine Chance hätte. Und als auch das sich als Irrtum erwies, in der Folge dann Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegstreiberei brandmarkten (und auch weiterhin Kapitulation empfahlen), diesmal allerdings mit dem Hauptargument, dass nur auf diese Weise das Töten endlich beendet werden könne. Und dass Putin dann bestimmt ganz lieb sein werde und sowas keinesfalls als Aufforderung begreifen würde, als nächstes etwa in Moldau einzumarschieren. Trotz Atombombendrohung. Man forderte in offenen Briefen Verhandlungen, ohne benennen zu können oder zu wollen, worüber denn eigentlich. Denn mittlerweile war ziemlich klar, dass die einzigen Argumente, die Putin bei Verhandlungen akzeptieren würde, in der militärischen Stärke des Gegners bestanden. Und der Gegner hieß Amerika bzw. “Der Westen”. Gefundenes Fressen bzw. der kapitalistische Feind schlechthin, und “der Feind meines Feindes ist mein Freund”. Dass der mittlerweile schon lange mit Kommunismus nichts mehr zu tun hatte, sondern längst zu einer Ein-Mann-Autokratie degeneriert war, zählte dabei dann auch kaum noch. Man rechnete also der Nato erstmal in aller Ruhe die Fehler der letzten 50 Jahre vor, verschwieg auch die Korruption und die nazistischen Umtriebe in der Ukraine nicht (die weit größeren – in beiderlei Hinsicht – in Russland allerdings schon), und nahm sich fortan überhaupt alle Zeit der Welt für jede noch so spitzfindige Akribie (solange sie nur auf die Schuld des Westens hinauslief), nur für eines nicht: Der Ukraine irgendwie gegen Putin zu helfen. Ach, machen wir´s kurz: Ich verstehe manche dieser Leute einfach nicht mehr. Schade.

Währenddessen tourten Tocotronic unter dem Slogan “Nie wieder Krieg” durch Deutschland, was natürlich nicht so gemeint war, wie es sich auf den ersten Blick hin las, sondern viel subtiler (nee, schon klar, aber ein Entspannungstee gleichen Namens bei Alnatura wäre vielleicht auch keine schlechte Geschäftsidee), und Precht/Welzer landeten einen Bestseller, in dem sie sich darüber beschwerten, dass ihre Meinung – u.a. Kapitulationsempfehlungen an die Ukraine – nicht genügend wahrgenommen würden.

Dann gingen die Proteste im Iran los,.”Weine nicht, wenn ich morgen gestorben bin, denn heute warst du nicht an meiner Seite”, sagte der Rapper Toomaj Salehi, kurz bevor er verhaftet wurde. Aber auch das scheint viele Linke nicht sonderlich zu interessieren, denn der Aufschrei ist nicht halb so groß wie er es wäre, sollte mal wieder irgendwas gegen Israel anliegen. Wo bleiben eigentlich all die BDS-Verteidiger, wenn man sie mal braucht? Versteh ich auch nicht.

Und während all der Zeit musste ich auch so langsam mal mein nächstes Album fertigstellen, so dass ich mir nichtmal eine Karte für Bob Dylan gesichert hatte, der Anfang Oktober in Berlin gastierte. Claudia Denker allerdings bestand darauf, dass ich genau das aber bitteschön zu tun habe, andernfalls ich es vielleicht für den Rest meines Lebens noch bereuen würde. Na schön, also besorgte ich mir auf die Schnelle einen der letzten Plätze (225 Euro, Barhocker direkt an der Balustrade), unterbrach meine Arbeit, und siehe da, Claudia Denker hatte – wie fast immer – völlig Recht gehabt: Ich hätte es bereut, denn das Konzert war magisch. Vollkommene Stecknadel-Stille im Saal bei wunderbar transparentem Sound, beste Voraussetzungen also, so ein Konzert auch nach allen Regeln der Kunst zu vermasseln. Aber Dylan zauberte. Es gab Passagen, in denen die Band fast völlig aussetzte, und man jedes kleinste Detail seiner Stimme in allen Nuancen mitkriegen konnte, und er nutzte das. Die Dekonstruktionen seiner eigenen Texte und Melodien sind völlig aus dem Moment geboren, aus einer Art Ursuppe oder Chaos, das leicht ins Nichts abstürzen, aber bei Gelingen auch geradezu Blitze erzeugen kann, die einem dann durch Kopf und Körper gehen. Das ist eine ganz eigene und auf nichts als poetische Essenz zielende Kunstform, die er da erfunden hat, wobei selbst falsche Töne hier und da überhaupt keine Rolle mehr spielen. In vieler Hinsicht also das diametrale Gegenteil zu jemandem wie Glenn Gould, den ich in letzter Zeit auch gerne höre. Apollon und Dionysos in ihrer jeweiligen Reinform, gewissermaßen.

Bücher gab´s auch ein paar zwischendurch, zum Beispiel Rayk Wielands “Beleidigung dritten Grades” (was für eine Sprachbeherrschung), Johannes Groschupfs “Hyänen” (schlanker Schreibstil, der es irgendwie faustdick hinter den Ohren hat) oder auch Peter Grandls “Turmgold”, dem Nachfolger von “Turmschatten” (vor allem spannend – und auch mit detailreichen Infos über die haarsträubend mangelhafte Aufarbeitung deutscher Neonazi-Umtriebe bis in die Gegenwart, allerdings manchmal auch mit unfreiwillig komischen Satzkonstruktionen wie “… und legte seine rechte Hand auf Manfreds Schulter, an der zwei Finger fehlten.”).

Und gerade hab ich etwas angefangen, das mir sehr vielversprechend scheint: Mohamed Mbougar Sarr – “Die geheimste Erinnerung der Menschen”. Ein im Senegal aufgewachsener Autor, der in Frankreich studiert und vor einem Jahr den Pris Goncourt abgeräumt hat. Ähnlich angelegt wie der erste Teil von Roberto Bolaños “2666″: in diesem Fall sind´s ein paar Schriftsteller auf der Suche nach einem vergessenen afrikanischen “schwarzen Rimbaud”, deren interne Diskussionen über Literatur sich dann u.a. so anhören: “(…) alle bekamen ihr Fett ab (…), auch die Journalisten und Kritiker, die die Bücher nicht mehr bewerteten, sondern sie nur noch nacherzählten, weil sie die Idee begrüßten, dass alle Bücher gleich gut seien, dass subjektive Geschmacksurteile das einzige Unterscheidungskriterium bildeten und es daher keine schlechten Bücher gebe, nur Bücher, die man nicht möge, und die Schriftsteller, die jeglichen Anspruch an Sprache oder Schöpfungskraft aus ihrer Arbeit verdammt hatten und sich mit einem platten Abklatsch der Wirklichkeit begnügten, der von der omnipotenten und tyrannischen Abstraktion, die sich “der Leser” nennt, keine eingehendere Anstrengung verlangt (…) “. Ganz nach meinem Herzen.

Und selbstverständlich – um auch das nicht zu vergessen – würde ich jederzeit die Letzte Generation verteidigen gegen Bazis, die daraus gerne eine neuen RAF konstruieren würden.

So, jetzt hamwas aber.

(Siehe auch hier: http://culturmag.de/highlights/danny-dziuk/147305?fbclid=IwAR1yDp_3P4qulNkfiCIo0Ag6YIOFcg1Vrrxikxyc01Zd_sEuqlGgVtIAIHw)

Seifenblasenmaschine

Am 13. November 2020 kommt bei “Timezone” das neue Album der Songschreibsängerin Krazy raus, das ich produziert bzw. auf dem ich eine Menge Instrumente gespielt sowie hier & da auch mitgesungen hab. “Seifenblasenmaschine” wird´s heißen. Hier ein paar Sätze dazu:

Über Krazy und unsere Zusammenarbeit

Krazy ist die deutschsprachige Lisbeth Salander des Tower Of Song. Dafür würde ich jedenfalls plädieren, wenn es eine solche Kategorie gäbe (& ich mich in einer entsprechenden Jury befände). Denn ich kenne sonst niemanden, der derartig aus dem Dunkeln käme mit derartig viel Talent, schwer durchschaubaren Überlebensstrategien und einer Sturheit und Ausdauer, die man kaum hoch genug einschätzen kann. Und so real, dass man in eine Tischkante beißen möchte, um es anderen klarzumachen.

Ich lernte sie vor etwa 2 Jahren im Rahmen eines Liedermacher-Abends (*1) in Köln kennen, an dem ich auch beteiligt war. Der Laden war sehr voll, und als sie anfing, weiß ich vor allem, dass ich schlagartig sehr wach wurde. Voll wach quasi.

Eine solch gewagte Mischung aus Kaltschnäuzigkeit, unverschämt präzisen und kurz angebundenen Texten sowie einer fast gebieterischen Ernsthaftigkeit – und das auf deutsch, ohne dabei peinlich, prätentiös oder aufgesetzt zu wirken… sowas war mir schon lange nicht mehr über den Weg gelaufen. Mit Liedermacherei hatte das eher wenig zu tun:

“mit meinen Waffen wird nicht gedroht
mit einem Lächeln bist du tot”

Keine Umwege, keine Gefangenen, keine Hintertüren. Vorgetragen zu einem Rhythmus auf einem Stück Blech. Und dann – zu einer sehr schnörkellos gespielten Gitarre und mit einer Stimme, auf der man laufen konnte – Zeilen wie:

“n´Zauberer glaubt nich an Wunder
n´ Sänger glaubt nich an Talent
du glaubst an mein Feuer
aber ich bin die, die brennt”

Das war “Three chords and the truth” à la Johnny Cash. Abwechselnd konnte man im weiteren Verlauf ihres Sets auch wahlweise an Ikonen wie Rio Reiser oder die frühe Patti Smith denken, wenn man unbedingt wollte, oder auch an die kontrollierte Wut und düsteren Wortkaskaden eines unpathetischen Nick Cave. Der zurückhaltende Punk und Rock´n Roll einer merkwürdigerweise sehr unverbiesterten Poète Maudit.
Weitere Eindrücke (ungeordnet): Permanent durchscheinend auch ein – gelinde gesagt – nicht sehr alltäglicher Erfahrungshintergrund. Plus eine seltene künstlerische Unschuld sowie die Ausstrahlung von jemandem, bei dem es sowas wie Prinzipien gibt, die nicht verhandelbar sind. Trotzdem ein derartig lapidares Understatement der ganzen Person, dass es die Qualität oder massive Substanz dessen, was sie da bot, beinah konterkarierte (schwer zu entscheiden, ob es sich dabei jetzt um Demut oder Arroganz handelte, möglicherweise beides). Teil davon vielleicht auch, dass es ihr nicht ganz gelang, auch ihre offensichtliche Bildung möglichst komplett herunterzuspielen.

Was war das also für ein Biest, das solche Widersprüche scheinbar mühelos in Übereinstimmung brachte?

Und so freundeten wir uns denn im Laufe des weiteren Abends ein bisschen an, und als ich später – im stillen Kämmerlein quasi – dann ihr einziges bis dahin erschienenes Album hörte, verstärkte sich dieser erste Eindruck noch: diese Frau war ein Rätsel bzw. völlig unmöglich. Sowas durfte es eigentlich gar nicht geben – oder wurde schon lange nicht mehr gebaut. War ich aus der Zeit gefallen? Und was würde passieren, wenn die eine Band im Rücken hätte? Auch das waren so Fragen…

“Du machst mir Spaß…”, hatte sie am Ende des Abends zu mir gesagt. Einer ihrer typischen Sibyllinismen, ähnlich wie:

“ich steh für dich im Rampenlicht
du stehst für mich im Raum” (*2)

Woraus sich dann – um´s sehr kurz zu machen – über die letzten 2 Jahre eine recht intensive sporadische Zusammenarbeit ergab. Wir fingen an mit einem zunächst gemeinsam geschriebenen Stück, und dann lieferte sie einen Song nach dem anderen, wir trafen uns gelegentlich in Berlin – oder schickten uns gegenseitig Aufnahmen zu: sie ihre Stimme (und Vorschläge), ich meine Arrangements (und Ideen), und so entstand langsam aber sicher ein ganzes Album, das – nach einem letzten Schliff durch weitere Aufnahmen im RecPublica Studio in Lubzra/Polen – jetzt tatsächlich fertig ist, Halleluja! – Es ist “heller” geworden als ihr Debut, ja sogar für ihre Verhältnisse fast freundlich. Und ich bin mir sicher, dass viele dieser Songs sehr lange halten werden.

Krazy ist eine, die in ihrem Leben nie Kompromisse gemacht sowie sämtliche dazugehörigen Risiken in Kauf genommen hat, soweit ich das beurteilen kann. She “paid her dues”, wie der Songster sagt, und zwar doppelt und dreifach. Wobei in einer Kultur – das mal eben zwischendurch bemerkt-, in der sich selbst Gummibärchen ungestraft Rückgrat, Authentizität und Unverbiegbarkeit bescheinigen dürfen, an einer wie ihr sich notgedrungen die Begriffe verwirren.

Zwischendurch schrieb sie en passant auch noch einen Roman über ihr jahrelanges Leben als Strassensängerin (*3). Als Reaktion auf die damalige literarische Schnösel-Sensation namens “Tristesse Royal”, falls sich jemand daran erinnert. Ihr Buch erschien in dem ziemlich hochkarätigen Libelle-Verlag, die Rezensionen waren durchweg gut, aber es versandete. Im aufstrebenden Neoliberalismus am Anfang der Nuller Jahre wollte man solche Stimmen wahrscheinlich eher nicht hören.

“Man kann formal ordentlich arbeiten, aber zum richtigen Funkenschlag braucht es doch mehr… Abgesehen von innerer Notwendigkeit und Charisma (starke Faktoren, klar) vielleicht wirklich den geneigten Zuhörer, der quasi den Stromkreis schließt?” – schrieb sie mir mal. Ja, sie ist ein Solitär, mit niemandem im Bett und keinem was schuldig. Diese seltene Spezies braucht eine Bühne, um optimal in Kommunikation mit dem Rest der Welt zu treten: lohnt sich, falls es dazu kommt, dann für beide Seiten.

Und so hab ich sie jetzt mehrfach live gesehen, unter anderem auch im Berliner Roten Salon vor einem auf Witze und Invektiven bedachten Publikum von Kurt Krömer. Sie stellte sich vor mit “Ich bin hier heute die schlechte-Laune-Beauftragte”, meinte es auch genau so, und die Leute kapierten, dass es zu solch einem Statement in diesem Zusammenhang zumindest eine Menge Chuzpe brauchte, wodurch eine gewisse gespannte oder knisternde Aufmerksamkeit entstand. Und in diese Stille hinein zauberte Krazy dann ihre so schön präzise und knapp konstruierten Verse. Jeder spürte die Fallhöhe – und gleichzeitig, wie unbeeindruckt und mühelos sie dann über dieses von ihr selbst gespannte Seil hinwegsegelte. Kurz, man feierte sie.

Und Wiglaf Droste, als er noch sterblich war, schrieb mir folgende Zeilen, nachdem ich ihm einen entsprechenden Link zu ihrem vorhin bereits erwähnten Album hatte zukommen lassen:
“… Bisher habe ich nur Lieblingslieder, ich höre nie mehr als eins auf einmal, das dann zweimal hintereinander, dann ist Pause. Das ist zu gut für weniger als 100% Konzentration.
Da das Album 2011 erschien, frage ich mich: Was hat die Frau seitdem gemacht? Klug genug gewesen, ihr Konzentrat nicht zu verdünnen? Oder die üblichen widrigen Umstände, die nichts auf Dauer verhindern, aber eben verzögern können?
… Es ist sehr anspornend zu wissen, dass da draußen jemand rumläuft, der die Latte mal wieder richtig hoch hängt.”

Lass ich jetzt mal als Schlusssatz so stehen.

Danny Dziuk (Juli 2020)
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*1 – Eingeladen hatten das Duo Barth/Römer am 21.04.2018 im “Gasthaus im 1/4″ – danke dafür nochmal.

*2 – “88″, aus Krazys neuem Album

*3 – Uta Titz: “Stella Runaway”

Ein Interview (zum Album)

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 08.04.2016, Seite 12

»Je leiser, desto intensiver«
Gespräch mit Danny Dziuk über seine heute ­erscheinende CD »Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer.«
Interview: Wiglaf Droste

CD von Danny Dziuk: Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer. Buschfunk 2016, 14,95 Euro – auch im jW-Shop erhältlich

Nach beinahe acht Jahren erscheint heute ein neues Album von Danny Dziuk. Das Warten hat sich gelohnt: »Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer.« vereinigt exakt ein Dutzend Lieder, wie sie hierzulande nur Danny Dziuk schreiben kann. Ob er solitüde Stimmungen beschreibt, einer Frau oder dem Leben als solchem seine Liebe erklärt oder sich dezidiert ins Getümmel einer in Empathielosigkeit und brüllend laute Stumpfheit abdriftenden, Sündenböcke suchenden und latent antisemitischen Gesellschaft wirft – immer ist seine Sprache poetisch und konkret zugleich, und seine Musik ist nicht nur meisterhaft gedacht, sondern auch sinnlicher Genuss. Wer einmal staunend das Vergnügen hatte, Danny ­Dziuk beim Soundcheck Johann Sebastian Bach spielen zu hören, »nur so zum Warmmachen«, weiß, aus welchen tiefen, klaren Quellen dieser Mann schöpft. Danny Dziuk beherrscht die Künste, am Puls der Zeit zu sein, sich in seiner eigenen Zeit zu bewegen und dabei Zeitloses zu erschaffen. (Wiglaf Droste)

Seit Ihrer letzten Albumveröffentlichung »Freche Tattoos auf blutjungen Bankiers« von 2008 hat es acht Jahre gedauert, bis heute »Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer.« erscheint. Braucht es einfach so lange, bis Sie qualitativ zufrieden mit Ihrer Arbeit sind? Liegt es an den Produktionsbedingungen? An den Arbeiten für Annett Louisans Album »In meiner Mitte« (2011) und für die drei Alben von Axel Prahl, »Blick aufs Mehr« (2011), »Das Live-Album« (2013) und »Assel π« (2016)? An allem zusammen? Oder woran?

Ich will ja nicht spitzfindig sein, aber es ist erst siebeneinhalb Jahre her seit dem letzten Album … Na schön. – Meine existentielle Grunderfahrung bestand immer darin, von meiner Musik alleine nicht leben zu können. Es brauchte stets andere »Projekte nebenher« – oder auch »Haupteinnahmequellen«, um mich über Wasser zu halten. Wobei ich jedoch grundsätzlich darauf achtete, auch mit diesen ein bestimmtes Qualitätsniveau möglichst nie zu unterschreiten – seien es andere Bands oder Filmmusiken und dergleichen –, was wiederum ansonsten durchaus einträgliches Gala- oder Tanzmuckertum, à la Heinz Strunk zum Beispiel, von vornherein kategorisch ausschloss.

Natürlich hoffte ich mit jedem Album, dass sich diese Situation vielleicht doch mal ändern könnte. Aber als dies selbst nach den »Frechen Tattoos« nicht passierte – meiner Meinung nach das Beste, was ich bis dahin zustande gebracht hatte –, war ich, sagen wir, ein bisschen ratlos.

Als dann 2010 fast gleichzeitig Axel Prahl und Annett Louisan plötzlich bei mir anklopften, nahm ich das als Zeichen. Was heißen soll: Ich gab so ziemlich alles. Im Fall von Annett schrieb ich etwa 30 Songs, wovon es knapp die Hälfte auf ihre Alben »In meiner Mitte« (2011) sowie »Zuviel Information« (2014) schafften. Selbstredend gibt’s für all diese Songs auch ziemlich fortgeschrittene Demotapes. Für Axel Prahls Debütalbum »Blick aufs Mehr« brauchte ich etwa ein Jahr, um es fast im Alleingang auszukomponieren, zu arrangieren und zu produzieren, vor allem aber: zu mischen. Gerade letzteres – und das gilt vor allem auch für meine eigenen Produktionen – ist etwas, womit sich ein Musiker möglichst wenig beschäftigen sollte, denn es verlangt eine völlig andere Person, sich mit rein technischen Aspekten wie Frequenzen herumzuschlagen: Ein Techniker sollte analytisch und »kalt« sein, ein Musiker dagegen »heiß«, und vor allem sollte er spielen und nicht an Mischpulten herumschrauben. Der Komponist und der Texter sind noch mal andere Personen, womit ich sagen will: Man ist gezwungen, sich in all diese verschiedenen Personen aufzuspalten, und diese Art kontrollierter Schizophrenie erfordert vor allem viel Zeit.

Es gibt diese Formel, nach der nur zwei von folgenden drei Eigenschaften bei einer Produktion »erreichbar« sind: schnell, billig, gut. Und da in meinem Fall die Budgets extrem niedrig und die Ergebnisse ziemlich gut sind – behaupte ich jetzt mal –, braucht’s eben auch überdurchschnittlich viel Zeit. Und paradoxerweise gerade dann, wenn’s darum geht, das Ergebnis am Ende so leicht erscheinen zu lassen, als wär’s völlig mühelos entstanden. Sicherlich gibt’s auch glückliche Ausnahmen zu diesen drei Eigenschaften wie etwa Van Morrisons Wahnsinnsalbum »Astral Weeks«, das in drei Tagen eingespielt worden sein soll. – Wie lang die Mischung brauchte, ist nicht überliefert, aber möglicherweise ging auch das sehr schnell.

Um also auf die Frage zurückzukommen: Außer den Arbeiten für andere – wie auch nicht – sind es vor allem die Produktionsbedingungen. Plus ein leichtes Zögern, ob oder wann man sich ein weiteres Mal der eigentlich komplett selbstausbeuterischen Monstrosität der Produktion eines eigenen Albums aussetzen möchte, diesem seltsamen Gemisch aus Himmeln – wenn etwas gelingt – und verschiedensten Höllen – wehe nicht! Denn es gibt ja keine Entschuldigungen hinterher.

David Bowie sagte einmal sinngemäß: »Nur ein Idiot schafft sich eine feste Band an.« Sie haben auf dem neuen Album mit vielen Musikern gespielt, die vorher nicht bei Ihnen auftauchten. Als einzige Konstante über viele Jahre ist da ausschließlich der Gitarrist Hans Rohe zu hören. Ist das ein normaler Vorgang? Oder was sind die musikalischen Gründe? Es gibt ja Bands, die über Jahre und Jahrzehnte in der gleichen Besetzung spielen: nicht nur die Stones oder die (französische Gruppe, jW) Bratsch, auch Bob Dylan und Joe Jackson haben »ihre« festen Musiker im Studio und auf der Bühne. Oder ist die Dichte an richtig guten Musikern in Deutschland einfach noch nicht da?

Doch, es gibt viele gute Musiker. Nur muss man sie halt ausreichend bezahlen bzw. beschäftigen können, was bei den Big names, die Sie aufführen, ja auch der Fall ist. Da ich jedoch sehr viel kleiner planen muss, kann man das kaum vergleichen. Idealerweise hätte ich für meinen Teil gerne eine richtige feste Band, denn ich schätze haltbare, also verlässliche Arbeitsbedingungen weit mehr, als mich psychologisch immer wieder auf neue Leute einstellen zu müssen. Und darüber hinaus sind mir meine Mitspieler nicht scheißegal. Im Moment ist es ein Trio, das darüber hinaus praktischerweise mitsamt seinen Instrumenten sogar in meinen Kombi passt und sehr gut eingespielt ist: der Multiinstrumentalist und Chansonnier Karl Neukauf sowie der unglaublich gute Schlagzeuger Achim Färber – früher unter anderem bei Phillip Boa –, beide darüber hinaus der aussterbenden Rasse von Musikern mit anhaltend hohem Berufsethos zugehörig. Und ich hoffe, dass ich sie noch eine Zeitlang »halten« kann. Oder sagen wir: Ich würde es hassen, solche Hochkaräter nicht zumindest auch halbwegs bezahlen zu können. Sie waren es auch, die das Album am meisten mitgeprägt haben. Und da auf dem Album bei manchen der Songs bis hin zu zehn Musiker mitspielen, sind es zwar nur sehr reduzierte Versionen, die wir dann live auch darbieten können, aber es kommt auf eine merkwürdige Art dem Geist oder Grundgefühl des Albums trotzdem recht nahe: je leiser, desto intensiver. Und sollte sich mein Publikum durch das neue Album vergrößern, könnte sich dieses Trio durchaus auch wieder zu einer richtigen »Band« erweitern. Aber im Moment ist es einfach ein derart schön ausbalanciertes Zartgespinst, dass ich da trotzdem erst mal sehr vorsichtig vorginge.

Was die alte Band namens »Dziuks Küche« betrifft: Es stagnierte einfach zu sehr. Langjährige Verhaltensweisen, die sich wie von selbst eingeschliffen hatten und mir nicht mehr gefielen, Genervtheiten, schlechte Laune, Routine, all so was. Als ich dann mit Karl Neukauf zusammen spielte, merkte ich, um wieviel besser das alles auf einmal war, dieser leise Ansatz, kein lautes Schlagzeug mehr und keine wie selbstverständlich dahergeschrubbten Riffs, sondern ein komplettes Noch-mal-ganz-von-Vorne. Sich dahin tasten, wo es sich wirklich gut und richtig anfühlt, ein ständiges Reagieren aufeinander plus die völlige Freiheit, das alles jederzeit anzuhalten oder ganz woanders hingehen zu lassen. Was nicht heißen soll, dass Hans Rohe nicht weiterhin ab und zu geniale Momente haben kann, und deshalb war er ja auch bei den Aufnahmen dabei. Aber ich musste diese Routine einfach mal durchbrechen, aufwachen.

Einflüsse höre ich bei Ihnen von Bob Dylan, Tom Petty, Bruce Hornsby. Liege ich da falsch? Und/oder wer sind darüber hinaus Ihre Musen? Finden Sie sie eher in der Musik oder in der Literatur? Oder wo sonst? Und wenn es auf deutsch singende Musiker sind, wen würden Sie explizit nennen können oder wollen?

Bruce Hornsby, was ein paar »Tricks« auf dem Piano betrifft, ja. Aber da gibt’s auch noch Garth Hudson, Jimmy Smith oder – zumindest ein ganz kleines bisschen – Thelonious Monk, um nur drei zu nennen. Tom Petty nicht sooo explizit, aber es könnte sich schon hier und da was von ihm eingeschlichen haben. Erwähnen würde ich dagegen eher Randy Newman und Warren Zevon. Dylan, klar. Auch Leonard Cohen ist diesmal »dabei«. Musikalisch hab’ ich das Lied »Zu groß, um zu scheitern« (auf der neuen CD »Wer auch immer …«, jW) an seinem Song »Almost like the Blues« ausgerichtet. An Manu Chao das Lied »Wer auch immer …«, an Ry Cooder »Arschlochfreie Zone« und an Nick Cave »Auf leisen Sohlen«. – Deutschsprachig eigentlich an niemanden, aber wenn schon, dann am ehesten noch Rio Reiser. Auch Sven Regener find’ ich großartig, bin aber kaum von ihm beeinflusst. Warum eigentlich? Ansonsten mag ich die Herangehensweise von Dota Kehr. Und Ralph Schüller ist toll, Nils Koppruch war’s auch, und Verwandtschaften fühle ich vage – aus allerdings sehr unterschiedlichen Gründen – zu Leuten wie Sebastian Krämer, Wenzel, Niedecken (ein paar Stücke auf der letzten Platte wieder) oder auch Max Prosa. Stoppok hat mir wiederum eine Zeitlang sehr geholfen, meine Stimme zu finden – wie Sie übrigens auch, wenn auch auf ganz andere Weise, falls erlaubt. Und von Lynn Wright (»And The Wiremen«) hab’ ich mir in letzter Zeit ein bestimmtes Vibrato abgeschaut, das ich bis jetzt für meine Stimme noch nicht entdeckt hatte. Von meinen englischsprachigen bekannteren Heroen wären noch zu ergänzen: Van Morrison und Tom Waits.

Und um noch kurz die Kurve zur Literatur zu kriegen – falls das eine Kurve ist: Im Moment trauere ich noch ein bisschen um Imre Kertész, dessen Auseinandersetzung mit Adorno – zum Beispiel mit dessen Diktum von der Unmöglichkeit, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben – für mich ein paar Knoten löste. Früher waren es die Beats um Jack Kerouac, Edgar Allan Poe, die französischen Symbolisten und Freigeister wie Henry Miller, Lawrende Durrell, D. H. Lawrence oder Blaise Cendrars. Heute sind es eher Dostojewski, Hamsun – oder »moderner« – Mario Vargas Llosa zum Beispiel oder Jonathan Franzen. Vor allem deren Auseinandersetzung mit dem sogenannten Poststrukturalismus fand ich sehr erhellend. Ansonsten »quer durch den Garten«: von US-amerikanischen Krimiautoren wie James Lee Burke über Romanciers wie Harry Mulisch oder den Dichter Charles Simic bis hin zu der französischen Wirtschaftsjournalistin Flore Vasseur, die mir mit ihrem Roman »Kriminelle Bande« die sogenannte Bankenkrise 2008 bisher noch am schlüssigsten erklärt hat, was dann durchaus auch Einfluss auf »Zu groß, um zu scheitern« hatte. Auch die letzten Romane von Ralf Rothmann und Franz Dobler mochte ich – aus verschiedenen Gründen, und mit beiden gab’s auch Zusammenarbeiten –, um mal kurz auf Regionales zu sprechen zu kommen. Was Religionen angeht – noch so eine Kurve –, so bin ich froh, dass es hier jemanden wie Navid Kermani gibt, der sich ernsthaft um Dialog bemüht. Auch Michel Houellebecq gefällt mir dahingehend zunehmend. Womit wir nicht zuletzt bei Jiddu Krishnamurti wären, obwohl das jetzt immer weniger mit Literatur zu tun hat: für mich aber durchaus eine zeitweilig große Inspiration. Was mir leid tut: Bisher noch nichts von Marcel Proust gelesen bzw. sowieso haarsträubende Defizite, Bildungslücken zu haben. Besonders, was intensivere Beschäftigung mit verschiedensten Klassikern angeht. Lassen wir’s mal dabei?

Die Formulierung »arschlochfreie Zone« (der Titel eines Stücks auf der neuen CD, jW) ist für die meisten Menschen ja bedauerlicherweise durch die Bücher von Dieter Moor besetzt, der damit den von ihm okkupierten Teil Brandenburgs meint, ansonsten in der selbstverständlich völlig arschlochfreien Zone Fernsehen arbeitet und sich jetzt »Max Moor« nennt. Haben Sie das bedacht, ignoriert, schlicht nicht gewusst, oder ist die Formulierung »arschlochfreie Zone« sowieso gängig und Allgemeingut?

Für »die meisten Menschen«? Das wusste ich nicht, und vielleicht wär es ein Grund gewesen, diesen Song besser doch seinzulassen. Tja, und jetzt ist das arme Kind in den Brunnen gefallen, und da ham wir den Salat. Andererseits dürfte aber auch Lemmy Kilmister vielen bekannt sein mit seiner Acht-von-zehn-Regel (sind Arschlöcher), oder? Aber auch das hat mir erst kürzlich jemand erzählt. Der Auslöser für dieses Lied jedoch war eher ein Stück des vor einigen Jahren verstorbenen Berlin-Amerikaners Francis Serafini namens »No assholes tonite« oder so ähnlich. Von dem griff ich dann allerdings nur die Überschrift auf, und das auch nur ungefähr

Wirkt sich Ihre Arbeit für »Berühmtheiten« wie Annett Louisan oder Axel Prahl auf den Erfolg Ihrer eigenen Veröffentlichungen und Konzerte aus? Oder sind das einfach zwei verschiedene Paar Schuhe? »Würdest du?« hat ja schon Louisan gesungen. Denken die Leute jetzt, Sie würden sie covern, oder wissen die, dass der Song von Ihnen und einem Koautoren stammt?

Wird bei weitem überschätzt. Also eher zwei Paar Schuhe. Hat mich anfangs auch gewundert, aber obwohl beispielsweise Axel Prahl bei unseren mittlerweile über 100 Konzerten riesenherzigerweise wirklich alles tat, mich mit zwei Beiträgen pro Show seinem Publikum auch als Sänger/Songschreiber vorzustellen sowie die entsprechende Resonanz in der Regel auch sehr enthusiastisch ausfiel, war der Anstieg der Zuschauerzahlen bei meinen eigenen Konzerten im Verhältnis dazu bisher eher marginal. Ich glaub daher, dass »Nebenschauplätze« nicht besonders deutlich wahrgenommen werden. Andererseits weiß niemand, ob sich sowas »on the long run« auf eine sehr viel unauffälligere Weise nicht vielleicht doch auswirkt.

In einem viel älteren Song haben Sie sich, halb ironisch zwar, aber doch nicht unernsthaft als »zu alt« für den großen Ruhm bezeichnet. Sehen Sie das jetzt, Jahre danach, immer noch so, oder kommt noch der Star Danny Dziuk? Und was wäre der Preis? Oder ist das völlig egal bzw. sowieso unplanbar?

Neulich sah ich durch Zufall einen Herbert Grönemeyer-Live-Ausschnitt in der Glotze, erschrak zunächst ein bisschen und dachte dann: Ein Glück, dass ich da nicht stehen muss vor dieser Menschenmenge. Diese fast unheimliche Machtausübung und die Mechanismen, die damit zusammenhängen, dieses Mitsingen und Klatschen, das man dann wahrscheinlich bedienen lernen muss. Mit einem Wort: all das, was kaum noch mit Musik zu tun hat, sondern eher mit Huldigung, Unterwerfung, Abfeiern der Tatsache, mit einem Halbgott im selben Raum zu sein. Und selbst wenn dieser Halbgott und seine Band dann unglaublich gut spielen oder singen, so besteht doch schlechterdings ab einer bestimmten Größenordnung keinerlei Chance mehr, das – als Zuhörer – überhaupt mitzukriegen. Mir würde schwindelig werden.

Die ideale Zuschauerzahl dagegen läge für mich bei etwa 300 Leuten. Das Publikum kriegte alles noch dezidiert mit. Und bei vielleicht 80 bis 100 Gigs im Jahr könnten die Musiker sogar davon leben bzw. sich voll auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren. Das würde mir gefallen, und besonders unrealistisch oder unerreichbar scheint es mir auch nicht zu sein. Aber selbst, wenn alles so bliebe, wie es jetzt ist: Bisher zumindest bin ich noch immer damit klargekommen. »Easy come, easy go / anyway the wind blows« sang J. J. Cale, der alte Fuchs. Erfolg ist sowieso nicht planbar. Wozu Kinky Friedman sinngemäß meinte, dass der Herrgott einem eh nicht gibt, was man unbedingt will, und man ihn demzufolge nur austricksen könne, indem man so tue, als wolle man es gar nicht. Wenn man etwa unbedingt Rockstar werden will, erstmal Wirtschaftswissenschaften studieren. Wie Mick Jagger. Will ich das? Nö.

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